Ich bin dreissig Jahre alt, komme ursprünglich aus Guinea Conakry und lebe und arbeite nun in Basel. Vor zehn Jahren bin ich aufgrund der Diktatur und familiärer Probleme gezwungen worden mein Land zu verlassen. Meine Reise von Guinea in die Schweiz dauerte fast acht Jahre lang – hier zeichne ich einen groben Entwurf davon:
Ich habe Guinea im Dezember 2006 in Richtung Senegal verlassen, ging anschliessend über Mali, Niger nach Libyen, wo ich drei Monate später ankam. Es war eine Reise durch die Wüste und durch die Hölle – nicht alle aus unserer Gruppe haben dabei überlebt. In Libyen angekommen realisierte ich, dass es dort viele Probleme mit der Polizei gab. Menschen konnten sich nicht frei bewegen. Mein Pass wurde zerrissen und ich für drei Monate ins Gefängnis in der Nähe von Tripolis gesperrt. Während dieser Zeit wurde ich gefoltert und misshandelt – ich und unzählige andere Afrikaner haben viel gelitten. Aber wieder durch die Wüste zurückzukehren war keine Option, ich würde diese Reise nicht nochmals überleben.
Als ich aus dem Gefängnis entlassen wurde und in Tripolis ankam, war es schwierig, eine Arbeit sowie Hilfe zu finden, wenn man krank ist. Denn versucht man ins Krankenhaus zu gehen, so werden sie die Polizei rufen um einen zu verhaften. Das ist der Grund warum viele Migrant*innen sehr viel gelitten haben. Manchmal versuchte die Polizei in der Nacht in das Haus zu kommen um dort Menschen zu verhaften. Ich habe viele Männer, Frauen und Kinder gesehen, die immer wieder misshandelt wurden. Dies ist der Grund warum ich finde, dass Europa kein Recht dazu hat, Menschen zurück nach Libyen auszuschaffen. Und seit ich dort gewesen bin, ist es nur noch schwieriger geworden als vorher, als Gadhafi noch an der Macht war.
Ich entschloss mich dazu, Libyen auf dem einzig möglichen Weg, dem Boot, zu verlassen. Der erste Versuch endete in einer Kata- strophe – viele Menschen sind dabei gestorben. Die zweite Fahrt dauerte fünf Tage lang auf offener See. Ich bin am 18 August 2007 mit 28 weiteren Menschen in Malta angekommen. In Malta wurden wir von der Polizei verhaftet und in einem Lager namens Alhalfar in Gewahrsam genommen. In diesem Gefängnis musste ich ein Jahr lang bleiben, andere mussten dort bis zu eineinhalb Jahre bleiben. In Malta werden nur Afrikaner*innen so behandelt – andere werden entweder direkt in ihr Heimatland ausgeschafft oder ihnen wird gewährt, in einem Lager zu wohnen. Das offizielle Statement um die Inhaftierung zu rechtfertigen lautet, dass Westafrikaner*innen Träger*innen von Infektionskrankheiten sein können und aus diesem Grund isoliert werden müssen. Das Schlimme am Gefängnis war, dass wir nicht darüber informiert wurden, was mit uns geschieht, wie lange wir da drinnen bleiben müssen und warum wir überhaupt verhaftet worden sind.
Selbstorganisation ist etwas positives, wenn es geschieht. Aber es ist nicht einfach. Denn wir Migrant*innen sind keine einheitliche Gruppe.
Ich hatte das grosse Problem, nachts aufgrund von schlimms- ten Albträumen nicht schlafen zu können. Aber als ich den Arzt treffen und ihm von meinen Problemen erzählen konnte, gab er mir immer nur Schlaftabletten. Das half überhaupt nichts, denn selbst mit Medikamenten wacht man mit schrecklichen Bildern im Kopf auf und kann dann nicht mehr einschlafen und fühlt sich schwach und kraftlos. Ein anderes grosses Problem war, dass es keine*n einzige*n Übersetzer*in gab. In diesem Gefangenenla- ger gab es mehrere Wohnungen und jede Wohnung hatte drei Zimmer. Es gab zwei Toiletten für über 500 Menschen und nur einen Fernseher.
Nachdem ich das Gefängnis verlassen hatte, habe ich für neun Monate in einem Krankenhaus gearbeitet. Weil ich gemerkt habe, dass ich in Malta keine Hilfe bekommen werde um wieder gesund zu werden, entschloss ich mich dazu, nach Italien zu gehen. In Italien angekommen, liessen sie mich wissen, dass ich zurück nach Malta kehren müsse, weil ich meine ersten Fingerabdrücke dort habe (Dublin-Vertrag der EU).
So musste ich die Reise fortsetzen und kam im November 2009 in den Niederlanden an. Dies war das erste Mal als ich herausfand, dass ich traumatisiert war. Ich wurde zu einem Psychiater geschickt und bekam dort die Hilfe die ich benötigte. Ich bekam Medikamente und ging zur Schule – ich lernte lesen und schreiben. Nach zweieinhalb Jahren in den Niederlanden, wurde ich als eine wieder „gesunde Person“ eingeschätzt und, basierend auf dem Dublin-Abkommen, zurück nach Malta, geschickt.
Zurück in Malta, wurde ich wieder ins Gefängnis gesperrt, da ich das Land ohne einen Pass oder eine Bewilligung verlassen hatte. Ich war für weitere sechs Monate eingesperrt. Nach all dem beschloss ich, von der Vergangenheit zu lernen und meine Erfahrungen mit anderen Migrant*innen zu teilen um ihnen dabei zu helfen, sich in der neuen Kultur, im neuen System und der neuen Gesellschaft zurechtzufinden. Ein weiteres Ziel von mir ist es, junge Menschen in Afrika über die Migration nach Europa zu informieren; dabei nicht die Schule zu verlassen und viel zu studieren um eine gute Ausbildung zu bekommen. So können sie in ihren eigenen Ländern aufwachsen, ihr Land zum Besseren verändern und müssen nicht ihr Leben und ihre Würde auf dem gefährlichen Weg nach Europa aufs Spiel setzen.
Selbstorganisation ist etwas positives, wenn es geschieht. Aber es ist nicht einfach. Denn wir Migrant*innen sind keine einheitliche Gruppe. Zum Beispiel Menschen aus dem Senegal und aus Guinea oder Menschen aus Nigeria und Menschen aus Ghana, die passen nicht zusammen. Das ist ein grosses Problem. Wenn man es schaffen würde dieses Problem zu lösen, könnten die Dinge besser laufen. In Malta werden drei Hauptkategorien von Migrant*innen unterschieden: Menschen aus dem Nahen Osten, aus Ostafrika und aus Westafrika. Jede Gruppe hat unterschiedliche Chancen auf einen legalen Status. So vereinigen sich die Ostafrikaner (die bessere Chancen haben) nicht mit den Westafrikanern (die fast keine Chancen haben) um gegen die Probleme zu kämpfen. Nur Westafrikaner versuchen sich selbst zu organisieren. Und auch innerhalb der Westafrikaner gibt es vielleicht fünf von tausend, die die Situation, die Menschen und das Land kennen; diese treten dem Kampf allerdings nicht bei, aus Angst diesen Vorteil zu verlieren. Des Weiteren benötigt man einen Ort, wo man sich treffen kann. Ich erinnere mich zum Bei- spiel daran, als wir versucht haben ein Treffen zu organisiere um über die humanitäre Gnadenfrist zu diskutieren. Wir trafen uns in einem Fussballstadion. Das erste Treffen war gut, es sind viele Menschen gekommen. Während des zweiten und dritten Treffens, war die Polizei schon da. Seit die Polizei dort auftauchte, kamen die Menschen nicht mehr zum Treffen.
In Europa wurde ich unterrichtet, ich lernte meine Rechte kennen, ich lernte, dass hier etwas mehr Gleichheit herrscht und, dass man für seine Rechte kämpfen kann. In Malta schaltete ich eine Face- book Seite mit dem Namen „R. Know More Net- work“ auf und fuhr dann damit fort, die offenen Lager zu besuchen, mit den Migrant*innen über die Wichtigkeit der Selbstorganisation, Bildung und das Wissen der lokalen Kultur zu sprechen. Das „R.“ steht für den Namen meiner Mutter, Ramatah. Viele Afrikaner haben die Tendenz ihre Gefühle, Probleme und Schwierigkeiten für sich zu behalten und nicht über ihre Erfahrungen zu sprechen. Aber wir müssen den Europäern erzählen, wer wir sind und warum wir unser Heimatland verlassen haben, damit sie verstehen können.