Gesetzesvollstrecker*innen oder Bullen? zum Sprachgebrauch im FIASKO

Wie zu jeder FIASKO-Ausgabe fand auch letztes Mal ein öffentlicher Diskussionsabend statt. Dieser sollte unter anderem als Plattform für Kritik und Anregungen dienen. Ein Kritikpunkt, der an diesem Abend aufgebracht wurde, bezog sich auf den Sprachgebrauch im FIASKO. Begriffe wie „Bullen“ und „Knast“ würden auf einige Leser*innen abschreckend wirken und dazu führen, dass das Fiasko in „die Schublade links aussen“ eingeordnet werde. Daraus resultiere eine geringere Reichweite des Magazins, da sich Leser*innen durch die verwendete Sprache nicht angesprochen fühlten oder gar eine Abwehrhaltung einnehmen könnten.
Diese Zeitschrift hat sehr wohl den Anspruch einer kritische Intervention gegen Migrationsregime und eine Einbettung dieser Kritik in einen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang. Somit ist es legitim, von links-aussen zu sprechen. Einige Fragen kommen auf: Wer wird abgeschreckt von dieser Haltung? Weshalb? Und was bedeutet diese Schubladisierung für uns? Wen möchten wir überhaupt erreichen? Und mit welchen Mitteln? Wie können wir Inhalte und Positionen klar vertreten, ohne dabei Leser*innen abzuschrecken, für die manche Themen oder Formulierungen ungewohnt oder neu sind? Im Folgenden möchten wir uns dieser Kritik an unserem Sprachgebrauch widmen und einige Gedanken dazu teilen:

 

1. Die (deutsche) Sprache ist Ausdruck des patriarchalen Systems, in dem wir leben. Daher ist es wünschenswert, dass mit neuen oder alternativen Vorstellungen auch neue Begriffe, Wörter und Satzstrukturen gefunden werden. Diese können wiederum befreitere Denkstrukturen hervorrufen.

2. Wir sehen also einen Zusammenhang zwischen Sprachgebrauch und Gesellschaftskritik. Ein Beispiel hierfür ist das Gender-Sternchen (*), oder der Begriff geflüchtete Person anstelle des verniedlichenden und herablassenden Begriffs Flüchtling. Wir begrüssen einen mutigen, selbstkritischen Umgang mit Sprache und Begriffen.

3. Kontinuität spielt eine wichtige Rolle. Liest mensch einmal einen Begriff, über den er*sie stolpert, der provoziert, kann das schnell zu Unverständnis und Distanzierung führen. Möglicherweise wird aber genau dadurch eine inhaltliche Grundsatzdiskussion befördert.

4. Über Begriffe und deren Inhalt kann mensch streiten. Wenn wir bei den genannten Beispielen Knast und Bullen bleiben, so können die salonfähigeren Begriffe Gefängnis und Polizist*innen in bestimmten Kontexten verharmlosend sein. Die Sprache verliert an Deutlichkeit. Gleichzeitig kann kritisiert werden, dass diese Begriffe keine neuen Bilder, kein weiterführendes Denken befördern, da die Wörter nicht überraschend eingesetzt werden, sondern eher in einem bestimmten Slang verharren.

5. Das FIASKO-Kollektiv hat bis auf wenige Ausnahmen (Siehe Punkt 8) keine homogene Sprache. Es ist uns wichtig, dass alle Autor*innen bewusst entscheiden, welche Begriffe treffend sind. Es gibt in diesem Sinne keine Vorgaben für den Sprachgebrauch, was sich auch in der jetzigen Ausgabe widerspiegelt.

6. Daraus geht hervor, dass eine eindeutige Haltung zu solchen Begriffen für uns nicht angebracht ist. Viel wichtiger ist uns ein bewusster, reflektierter und emanzipatorischer Gebrauch von Sprache und Wortwahl, passend zu den jeweiligen Texten.

7. Zu einem bewussten Umgang gehört kritische Selbstreflexion. Was passiert, wenn ein Begriff zu Mainstream wird: Hat die gewünschte Veränderung stattgefunden oder ging der emanzipatorische Charakter verloren? Wurde der Begriff zu einer inhaltsleeren Worthülse? Könnte ein Begriff diskriminierend oder ausschliessend wirken? Etc.

8. Ein paar grundsätzliche Entscheidungen sind uns dennoch wichtig. Im FIASKO soll in allen Texten das Gender-Sternchen (*) verwendet werden. Dadurch werden auch diejenigen Menschen sprachlich berücksichtigt, die sie nicht mit den Begriffen Mann oder Frau identifizieren und dadurch Diskriminierung ausgesetzt sind. Ausserdem ist eine rassistische, sexistische, patriarchale, antisemitische oder andersartig diskriminierende Sprache in dieser Zeitschrift mehr als unerwünscht.

…ja, der nächste Diskussionsabend kommt, weitere Texte wohl auch. Vor lauter Sprechen das Handeln nicht vergessen, yalla!

 

Aus dem ethymologischen Wörterbuch

-Knast (ugs. für:) „Freiheitsstrafe; Gefängnis“: Das seit dem 19. Jh. bezeugte Wort stammt aus der Gaunersprache, vgl. jidd. knas „Geldstrafe“, kansen „(mit Geldbusse) bestrafen“, hebr. Qenas „Geldstrafe“.

-Bulle: Das im 17.Jh. aus dem Niederd. ins Hochd. übernommene Wort geht zurück auf mnd. bulle „(Zucht)stier“, vgl. gleichbed. niederl. bul, engl. bull, aisl. boli. Die Bezeichnung des Stiers gehört zu der unter Ball dargestellten idg. Wurzel *bhel- „schwellen“ und ist z.B. eng verwandt mit griech. phallos „männliches Glied“ und air. ball „männliches Glied“. Der Bulle ist also nach seinem Zeugungsglied benannt.

Gedanken zur anonymen Veröffentlichung der Texte im FIASKO

Die Texte im FIASKO werden von Einzelpersonen verfasst und anschliessend im Kollektiv kritisch besprochen. Wir sind uns nie ganz einig geworden, ob- und in welcher Form die Namen der Autor*innen genannt werden sollen. In einem weit verbreiteten Medienverständnis dient der Name dazu, einen Text glaubwürdiger und seriöser wirken zu lassen, insbesondere da er auch als Adresse dient für allfällige Rückfragen oder Kritik. Es gibt aber einige triftige Gründe, die gegen die Benutzung der eigenen Namen im Kontext dieser Zeitung sprechen. Einerseits geht es um Schutz. Einige Schreibende bevorzugen es zu ihrem eigenen Schutz, nicht direkt mit dieser Zeitung in Verbindung gebracht zu werden. Behörden könnten zum Beispiel Druck auf Personen im Asylprozess ausüben und gewisse Inhalte könnten auf rechtlicher Ebene problematisch sein. Andererseits will sich niemand von uns mit den Texten profilieren und es soll nicht der Name der*s Schreibenden im Vordergrund stehen sondern der Inhalt. Einigen von uns ist es einfach auch unangenehm, wenn der eigene Name in der Zeitung steht. Um einschätzen zu können, mit welcher Motivation und aus welcher Position ein Text geschrieben wurde, haben wir uns entschieden, den Texten eine Kontextualisierung beizufügen. Auch gibt es den Diskussionsabend und eine E-Mail Adresse. Über beide Kanäle freuen wir uns kritisiert zu werden, dadurch eine Diskussion anzuregen und unsere Auseinandersetzungen gemeinsam weiterzuführen.