Fotos aus dem Bässlergut

Die Fotografien entstanden bei einer offiziellen Führung durch das Gefängnis Bässlergut. Ein Rundgang mit Blick in die Vorzelle, den Produktionsraum, den Hof, den Gerichtssaal, die Isolationszelle und den hauseigenen Kiosk, bis wir wieder am grossen Stahltor stehen, das die beiden Welten voneinander trennt. Weder Gefangene noch Mitarbeitende durften während des Rundgangs fotografiert werden. Es bleiben leere Räume und die Spuren der Menschen, die in Haft leben.

Alltag in der Ausschaffungshaft – Ein Gespräch mit zwei inhaftierten Personen im Bässlergut

Das im Folgenden abgedruckte Gespräch fand während den offiziellen Besuchszeiten im Gefängnis Bässlergut statt. Vor dem grossen Gittertor drücken wir auf den roten Knopf und melden durch die Sprechanlage hindurch die Namen der Personen, die wir besuchen möchten. Das erste Tor öffnet sich, vor dem zweiten warten wir nochmals, werden schliesslich auch durch dieses hindurch gelassen und betreten nach ein paar Metern den überhitzten Eingangsbereich des Bässlerguts. Erst mal Winterjacke ausziehen, ID abgeben, Taschen verstauen, Anmeldeformular ausfüllen, durch das Drehkreuz hindurch und beim Metalldetektor vorbei. Wie immer wird man einzeln zum Besucherraum gebracht. Wir nehmen nach und nach alle Platz und warten. Schliesslich sitzen wir zu fünft am Tisch. Obwohl wir uns alle bereits kennen, wird das Interview von einem anfänglichen Misstrauen seitens der beiden befragten, inhaftierten Personen begleitet. Dies zeigt sich darin, dass nicht nur nach unserer Motivation, sondern auch nach der Erwerbstätigkeit und Zugehörigkeit einer (politischen) Gruppe oder eines (politischen) Vereines gefragt wird. Die beiden befragten Personen gehen mit dem Interview ein hohes Risiko ein, da sie aufgrund ihrer Position als Insassen schutzlos der Willkür der Wärter ausgeliefert sind. An dieser Stelle soll den beiden nochmals für dieses Gespräch gedankt werden.

Du stehst kurz vor deiner Level I-Ausschaffung.1 Wirst du dich dieser widersetzen?


B.:
Ich werde mit Level I ausgeschafft, ich halte es nicht aus, diese verschiedenen Stufen durchzumachen und dann beim dritten Mal auf solch gewaltvolle Weise ausgeschafft zu werden. Nein, darauf habe ich keine Lust. Momentan weiss ich noch nicht, wann ich genau ausgeschafft werde. Das wird mir erst etwa zwei bis drei Tage vorher mitgeteilt. Es bringt ohnehin nicht viel, sich zu widersetzen, da dies nur eine Verlängerung der Haft von zwei bis drei Wochen bedeuten würde.

N.: Das Problem ist, dass wir Ausländer sind und der Mensch dabei vergessen geht.

B.: Ich bin hier aufgewachsen und jetzt werde ich ausgeschafft. Ich habe keine Chance, bei meinem Kind zu bleiben. Ich möchte doch hier sein, mich um meine Familie kümmern und mein Kind aufwachsen sehen!
Eigentlich wollte ich ja nie Kinder in diese Scheisswelt setzen. Doch jetzt habe ich eines und jetzt muss ich gehen. Ich werde die ganzen Entwicklung meines Kindes nicht mitbekommen. Wie es zum ersten Mal isst, spricht oder geht.

Wie sieht denn euer Alltag hier im Bässlergut-Gefängnis aus?

B.: Um 07:15 machen die Wärter unsere Zelle auf, um 17 Uhr abends wird diese wieder geschlossen. In unserer Zelle sind wir zu dritt, es gibt einen Fernseher. Zudem gibt es auf unserem Stock einen Gemeinschaftsraum mit einer Küche, zwar mit einem grossen Tisch, aber nur mit zwei Stühlen. Gemütlich ist es da nicht.

N.: Kann man rausgehen, dann verteilt sich das ein bisschen: Ein paar gehen raus, ein paar bleiben drin. Pro Tag können wir einmal für eine Stunde und einmal für zwei Stunden in den Innenhof gehen.

Wie sieht es mit dem Essen aus?

B.: Morgens um 07:15 gibt es Frühstück, dann wieder etwas um 11 Uhr und um 17 Uhr abends. Nachbestellen liegt nicht drin. Einmal fragten wir die Wärter, ob wir eine Pizza bestellen könnten und diese dann selber bezahlen. „Fuck you“, kriegten wir zur Antwort.

N.: Einmal in der Woche ist ein kleiner Kiosk geöffnet, wo wir Lebensmittel, Getränke, Zigaretten und andere Dinge einkaufen können. Der ist aber völlig überteuert: Eine M-Budget Schokolade kostet hier ca. 2.-.

B.: Dann arbeite ich 2,5 Stunden und kann doch fast nichts kaufen!

Was arbeitet ihr denn?
N.: Abends kommen die Wärter jeweils und fragen, wer am nächsten Tag arbeiten möchte. Die Arbeitszeiten sind am Montag, Mittwoch und Donnerstag von 8:00 bis 10:30 und am Dienstag und Freitag von 14:00 bis 16:30.

B.: Jeweils zwei bis drei Leute sitzen zusammen an einem Tisch, um zu arbeiten. Gesprochen werden darf nicht. Wasser darf man nur auf der Toilette vom Wasserhahn trinken. Es ist nicht erlaubt, während der Arbeit Wasser zu trinken.

Was sind das für Arbeiten?
B.: Momentan machen wir vor allem Weihnachtsartikel: Wir stellen beispielsweise verschiedene Verpackungen zusammen und kleben Teile aneinander. Die fertigen Packungen werden dann nach Belgien geschickt, wo verschiedenes Zeug reingepackt wird. Von dort geht es weiter nach China. Ich weiss aber nicht, wer hinter diesem Auftrag steckt.

N.: Für die zweieinhalb Stunden erhält man jeweils 7.50.

B.: Letzte Woche war ich am Arbeiten als meine Frau und mein Kind vorbeikamen. Am Empfang fragten sie nach mir. Aber niemand kam und informierte mich darüber, dass meine Familie da sei und mich besuchen wolle. Also gingen sie wieder. Als ich das später erfuhr, fragte ich den Wärter, weshalb er mir nichts gesagt habe. Frau und Kind sind mir doch wichtiger als diese Scheiss 7,50! „Das sind eben die Regeln: Wenn du dich zur Arbeit einträgst, musst du arbeiten“, erhielt ich von diesem zur Antwort.

N.: Die Arbeit wird manchmal auch als Strafmittel genutzt, indem man zur Strafe nicht arbeiten darf und somit auch kein Geld zur Verfügung hat.

Und arbeitet ihr?
B.: Ja, ich arbeite regelmässig. Aber nicht wegen des Geldes. Nein, der einzige Grund ist, dass ich ab und zu meine Ruhe brauche. Denn diese Möglichkeit habe ich sonst nicht. Ständig hört jemand Musik, telefoniert oder spricht mit anderen Personen. Indem ich zur Arbeit gehe, kann ich diesem Trubel für kurze Zeit entfliehen.

N.: Nein, ich arbeite nicht mehr. Ich habe vor drei Monaten während der Arbeit einen kleinen Karton kaputt gemacht. Der war knapp eine A4-Seite gross…

B.: Das kann doch mal passieren, das ist uns allen schon passiert!
N.: …dafür habe ich fünf Tage Bunker gekriegt. Seit diesem Erlebnis arbeite ich nicht mehr. Ich will es nicht riskieren, noch einmal in die Isolationszelle zu gehen.

Kannst du uns etwas über diesen Bunker erzählen? Was kann man sich darunter vorstellen?
N.: Das ist eine Einzelzelle, die zur Bestrafung eingesetzt wird. In meinem Fall also für das Kaputtmachen einer kleinen Kartonschachtel bei der Arbeit. Während der Zeit im Bunker durfte ich einmal pro Tag alleine im Innenhof spazieren gehen, ansonsten verbrachte ich die gesamte Zeit isoliert in einem Raum, der ein kleines Fenster und einen Fernseher hat. Nach fünf Tagen konnte ich schliesslich wieder in meine andere Zelle zurück.

Was für eine medizinische Versorgung habt ihr?
B.: Es gibt zwei Ärzte, an die man sich wenden kann. Der eine ist aber überhaupt nicht hilfsbereit. Er verhält sich uns gegenüber aggressiv, da es oftmals sprachbedingte Missverständnisse gibt. Dem sind wir so scheissegal wie den Wärtern. Das merkt man daran, wie sie mit dir sprechen und wie sie dich generell behandeln.
Einer, der mal in unserer Zelle war, schluckte eine grosse Menge Shampoo. Er hatte psychische Probleme und lange nichts mehr gegessen, dafür rauchte er wie eine Maschine. Meint ihr, die Wärter seien sofort gekommen, als wir um Hilfe riefen? Erst nach einer Dreiviertelstunde waren sie hier. Möglich wäre das in fünf Minuten. Das ist auch wieder ein Zeichen dafür, dass wir hier nicht ernst genommen werden.

N.: Vor zwei Wochen bat ich meinen Psychiater, bei dem ich vor zwei Jahren war, er möge doch vorbeikommen, da es mir nicht gut gehe. Die Gefängniswärter sagten mir jedoch, dass das nicht ginge und ich das nicht tun dürfe.

Läuft man beim Drehkreuz vorbei zum Besucherraum, sieht man auf der rechten Seite einen Schrank voller Medikamente. Kriegt ihr denn Medikamente? Und was sind das für Medikamente?
B.: Ja, wir kriegen Medikamente. Sämtliche Medikamente, die wir einnehmen, sind aber bereits in Wasser aufgelöst. Es ist nicht möglich, dass du die Medikamente unaufgelöst – also in der Originalverpackung – kriegst. Ich wette, da hat es zusätzlich noch Temesta drin. Als ich fragte, ob ich mein Medikament in der Originalverpackung kriegen kann, wurde mir gesagt: „Halt deine Fresse, du Scheissausländer.“
Seither nehme ich keine Medikamente mehr ein, denn ich sehe, was mit allen anderen passiert: Entweder man wird ruhig und schläft oder man wird aggressiv. Dasselbe passiert übrigens auch nach dem Essen: Wir gehen alle nach dem Essen schlafen. Das ist doch nicht normal! Oder geht ihr etwa jedes Mal schlafen, wenn ihr gegessen habt? Da ist bestimmt auch irgendein Beruhigungsmittel drin.

Wie ist eure Beziehung untereinander?
B.: Wir sind grösstenteils für uns – jeder für sich in seinem Teil der Zelle. Jeder versucht die Probleme, die er hat, mit sich zu klären. Gerade wenn jemand schlecht behandelt wird, kann diese Person sehr aggressiv werden. Dann ist es besser, wenn man diese Person vorerst in Ruhe lässt. Zudem haben wir auch grundsätzliche Kommunikationsschwierigkeiten, da sehr viele verschiedene Sprachen gesprochen werden.

Man sagt, die Schweiz sei ein neutrales Land. Aber das stimmt einfach nicht. Die Schweiz ist ein Polizeistaat

Gibt es gemeinsame Widerstandsformen?
B.: Jemand trat einmal für sieben Tage in den Hungerstreik. Die Wärter steckten diese Person in den Bunker und verabreichten ihr irgendwelche Medikamente. Auch in unserer Zelle dachten wir schon ein paar Mal über einen gemeinsamen Hunger- oder Arbeitsstreik nach und waren das auch schon am Planen. Aber immer gab es ein paar, die nicht mitmachen wollten. Das verstehe ich auch: Wer Raucher ist, muss halt einfach arbeiten gehen. Das ist der Grund, weshalb solch geplanter Widerstand scheiterte.

N.: Eigentlich könnte man sagen, dass das Überleben hier darin besteht, stabil zu bleiben. Denn das wollen sie; uns psychisch kaputtmachen.

Spürt ihr eine Solidarität von „Aussen“?
B.: Nein, und wenn dann nur durch Besuche. Wer keine Besuche erhält, spürt keine Solidarität. Sobald du im Knast bist, bist du stigmatisiert, hast du keine Freunde mehr. Wenn du im Knast bist, sind plötzlich alle deine Freunde weg und niemand kommt dich besuchen. So läuft das.

Gegen wen richtet sich eure Wut?
N.: Als ich noch draussen war, wusste ich nicht, dass der Ausschaffungsknast so ist. Nun bin ich seit vier Monaten hier drin. Was hier mit Menschen gemacht wird, macht man sonst nirgendwo. Wenn ich mal rauskomme, werde ich in die Schweiz zurückkehren und diesen Ausschaffungsknast vernichten. Das ist mein Ziel geworden, seit ich hier drin bin.

B.: Als Ausländer kannst du wenig machen, um deine Situation zu ändern. Sogar wenn man hier geboren ist und einen Schweizer Pass hat, bleibt man für immer ein Ausländer. Dieser Blocher, der verdient jedes Jahr Millionen und hetzt gegen die Ausländer. Wer arbeitet denn bei ihm? Wer putzt sein Klo? Und der sagt Scheissausländer! In dieser Welt gewinnt der Stärkere. Das ist unsere Realität. Man sagt, die Schweiz sei ein neutrales Land. Aber wer liefert Waffenmaterial in die ganze Welt?
Man sagt, die Schweiz sei ein neutrales Land. Aber das stimmt einfach nicht. Die Schweiz ist ein Polizeistaat. Sobald die Staatsanwaltschaft entschieden hat, ist Feierabend. Ist dein Anwalt bei der SVP? Feierabend. Die dürfen uns Ausländer so stark und so oft beleidigen, wie sie wollen. Wir sind hier und müssen die Fresse halten.

Prison Sucks – 6 überraschende Gründe, weswegen wir Gefängnisse bekämpfen sollten

Das Gefängnis ist eine gesellschaftliche Selbstverständlichkeit, sie scheint unangreifbar. Im politischen Spektrum ist von links bis rechts kaum Kritik an dieser Institution zu vernehmen. Das war auch schon mal anders, denn das Gefängnis ist ein eher modernes Phänomen. Hier sollen einige Ideen präsentiert werden, welche diese Selbstverständlichkeit aufbrechen können.
Selbst die radikale Linke hat sich in ihren Forderungen in den letzten Jahrzehnten immer mehr zurückgezogen. Während in den 70er- und 80er-Jahren die Entknastung1 der Gesellschaft noch im Zentrum stand, getraut man sich heute höchstens noch, die Freilassung „unserer“ politischen Gefangenen zu erwähnen.

 

Gefängnisse

Seit dem Altertum gibt es Gefängnisse, jedoch hatten sie lange keine mit heute vergleichbare Funktion. Menschen sind temporär bis zur Urteilsverkündung- oder Vollstreckung in Gefängnisse gesteckt worden, ähnlich dem, was uns heute als „Untersuchungshaft“3 geläufig ist. Zur Bestrafung wurden andere Methoden wie Bussgelder, Schandstrafen wie Pranger oder Verbannungen und Körperstrafen wie Prügel oder Todesstrafen ausgesprochen.
Auch Schuldgefängnisse sind weit verbreitet: Menschen sitzen ein, bis sie ihre finanziellen Schulden beglichen haben oder begleichen können. Heute hat sich das etwas verändert: Menschen sitzen nun ihre Bussen ab.

Erst später entstehen in England erste Arbeits- und Zuchthäuser. Darin werden soziale Randgruppen und Arme platziert, damit sie sich „bessern“ können. Von da an wird immer mehr auf die Bestrafung per Inhaftierung gesetzt, da diese Strafform gegenüber Schand- und Körperstrafen als humaner gilt. Sowohl im 19. als auch im 20. Jahrhundert gibt es immer wieder Reformbemühungen und Bewegungen, die fordern, dass das Gefängnis zu einem Ort weiterentwickelt wird, in dem Menschen wahlweise gebessert oder bekehrt werden sollen.

Die Bestrafung verschwindet mit der Inhaftierung aus den Augen der Öffentlichkeit hinter hohen Mauern. Es etabliert sich ein komplexes, systematisches Gefängniswesen mit verschiedenen Stufen von Inhaftierung, von Hafterleichterungen, Ausgängen, Arbeit, Hofgängen und so weiter.
Eine Idee bleibt: Der Körper muss sich innerhalb dieses Gebäudes befinden und an die Weisungen der ausführenden Gewalt – häufig vom Staat eingesetzt – halten.

1. Grund: Es schafft mehr Probleme, als es löst

Neben der Tatsache, dass das Gefängnis selbst eine Form von Gewalt ist, werden viele Inhaftierte in den Gefängnissen Opfer von Gewalt durch Mithäftlinge und Wärter*innen. Wer nicht schon traumatisiert ins Gefängnis kommt, wird sehr wahrscheinlich dort traumatische Erlebnisse machen. Das repressive Umfeld, die hierarchische Struktur und die Lebensbedingungen fördern Depressionen, Suchterkrankungen, Machtspiele und den Einsatz von Gewalt an den und durch die Gefangenen. So sind z.B. die Preise für Drogen nirgendwo höher als im Knast.

Absurderweise bilden sich in grossen Gefängnissen eine Art „rechtsfreie“ Räume, in denen Gewalt, Vergewaltigungen, Drogenhandel etc. an der Tagesordnung sind. In den Gefängnissen werden also Umfelder geschaffen, die es erst ermöglichen, problematische Strategien zur Konfliktbewältigung wie Gewalt zu entwickeln, auszuleben und weiterzugeben. Das Gefängnis ist ein Ort, wo sich delinquente Praxen und Strategien weiterverbreiten und befördern können. Im Gefängnis existiert eine Schattenwelt, die kaum eine*r kennt und die auch nicht interessiert, schliesslich geschieht sie hinter hohen Mauern.

Viele junge Leute, die wegen „kleiner“ Delikte in Haft geraten, kommen dort erst in Kontakt mit einem Milieu, in dem Delinquenz angesehen und verbreitet ist. Das Gefängnis fördert in gewissen Fällen die Kriminalität, die es zu bekämpfen verspricht und richtet dabei jede Menge Schaden an.

2. Grund: Die Gesellschaft produziert „Überflüssige“

Die Gefängnisse sind gefüllt mit Menschen, die aufgrund von sozialen Ungleichheiten und Armut in Konflikt mit dem Gesetz gekommen sind. Die meisten Verurteilungen haben direkt oder indirekt mit Eigentumsfragen zu tun. Viele Inhaftierte sind Benutzer*innen von illegalisierten Drogen. Das Herrschaftsinstrument Gefängnis ist dabei nicht nur unterdrückend, sondern ebenso produktiv: Menschen werden dazu angehalten, sich produktiv und konform zu verhalten. Es sind eben jene Instrumente, die uns und unsere Gesellschaft erst konstituieren.

Viele Gesetze sind Teil des Krieges gegen die Armen. Geschaffen wurden sie, um die bestehende Ordnung und die bestehenden (Eigentums-)verhältnisse festzusetzen und zu verteidigen. Das Justizsystem ist lange nicht so neutral und objektiv, wie es scheint. Was wie verfolgt und bestraft werden soll ist eine politische Entscheidung, die bisweilen absurde Auswüchse mit sich bringt (z.B. Gefängnis für Schwarzfahren). Gesetze schaffen eine Klasse von Delinquent*innen und einen ganzen Apparat von Polizist*innen, Richter*innen, Überwachung und Kontrolle, und legitimieren diesen. Das Gefängnis hilft ebenso wie die Schule, die Kaserne, die Psychiatrie, das Krankenhaus etc., die Position des Individuums in der Gesellschaft anzuzeigen und es darin festzusetzen.

In der Theorie bleibt eines der Ziele dieser Einschliessung die Resozialisierung. Das Individuum soll in der Gesellschaft wieder eine andere, konforme Position einnehmen. Zumindest war dies das Ziel vieler Reformen in den letzten Jahrzehnten. Dieses Ziel scheint mittlerweile aufgegeben zu sein.
Solange die Gesellschaft ist wie sie ist, voller sozialer Unterschiede, Sexismus und Rassismus, solange wird es auch viele Menschen geben, die mit dem Gesetz in Konflikt kommen. Solange wird die Gesellschaft „Überflüssige“ produzieren.

3. Grund: Es soll uns abschrecken

Die blosse Präsenz von Gefängnissen und Gefangenen in unserem Bewusstsein soll zur Abschreckung dienen. Eine möglichst grosse Konformität und Gesetzestreue wird dadurch angestrebt, dass du deiner Bewegungsfreiheit beraubt werden könntest, wenn du gegen Gesetze verstösst. Auch im Alltag und im Unterbewusstsein soll diese Angst ständig vorhanden sein: Die Polizei im eigenen Kopf. Diese hilft schon dabei, die kleinsten Regelüberschreitungen zu unterbinden. Etwas, was viele als charakteristisch an befriedeten Ländern wie der Schweiz erachten.

4. Grund: Wir lieben die Freiheit

Die krasseste Freiheitsberaubung überhaupt: Das Gefängnis ist eine besonders starke Form eines Ein- und Ausschlussmechanismus. Widerstand und Kritik an der bestehenden Ordnung kann sehr schnell ins Gefängnis führen.

5. Grund: Wofür Strafen?

Ist die Idee der Bestrafung – eine sehr moralische Idee – eine angemesse Reaktion auf Vergehen wie Diebstähle, Gewalt oder Übergriffe? Strafen bedeutet immer, jemandem mit Absicht Leid zuzufügen. Was soll mit diesem Leid bezweckt werden? Der Gedanke des Strafens basiert auf einer Idee von Vergeltung und Rache. Delinquent*innen werden stigmatisiert und damit Resozialisierung – was ein Zweck des Gefängnisses sein soll – erschwert.
Die lauter werdenden Forderungen nach noch härteren Strafen sind eine zutiefst reaktionäre Idee, basierend auf einer moralischen Vorstellung von Vergeltung gegenüber jenen Menschen, von denen angenommen wird, sie hielten sich nicht an die herrschende Ordnung.

6. Grund: Sexismus und Rassismus

In den Gefängnissen sitzen mehrheitlich Männer. Das Gefängnis trägt auch dazu bei, Geschlechtlichkeit zu (re)produzieren. Während dem Mann eher der Täter vorgeworfen wird, gilt die Frau eher als die Wahnsinnige und landet deswegen in psychiatrischer Betreuung. Sexualisierte und rassistische Gewalt sind leider in beiden Institutionen an der Tagesordnung. Hier ist der Staat nicht in der Lage, sein Sicherheitsversprechen einzuhalten, im Gegenteil: Techniken und Institutionen wie die Polizei, das Gefängnis oder Grenzen etc. produzieren Gewalt gegen Frauen* und People of Colour, statt sie zu beenden.

Der Schutz von marginalisierten Communities wird als Vorwand gebraucht, um Polizei und Justiz weiterhin Gewalt ausüben zu lassen. Schauen wir uns als Beispiel die Diskussion nach den Vorfällen in der Silvesternacht 15/16 in Köln an: Die Gewalt gegen Frauen, ein weit verbreitetes und häufig verstecktes Phänomen, wird benutzt, um Gewalt gegen People of Colour, sowohl im Land als auch an den sogenannten „EU-Aussengrenzen“ zu legitimieren. Erfährt jedoch eine illegalisierte Person sexualisierte Gewalt, hat sie unter Umständen nicht die Möglichkeit, sich an die Polizei zu wenden. Sie läuft dann Gefahr, von dieser wiederum Gewalt zu erfahren: Sie kann inhaftiert und ausgeschafft werden.

Community-basierte Ansätze

Wie sich also sicher fühlen, wenn es keine Gefängnisse gäbe und einem auch die Polizei nicht helfen kann?
Aus queer-feministischen Kreisen kommen einige Ansätze, welche mit gemischtem Fazit bereits viele Male angewandt wurden. Die Idee ist, dass das Umfeld des „Täters“/der „Täterin“ und jenes des „Opfers“ versuchen, einen Umgang mit den Erfahrungen und mit der „Tat“ zu finden und daraus Konsequenzen zu ziehen. Viele von uns haben das sicher auch bereits angewandt, bei kleinen Vergehen, Übergriffen und Problemen im sozialen Umfeld. Folgende Grundsätze sind dabei von Menschen, welche sich viel damit beschäftigt haben, herausgearbeitet worden2:

  • Kollektive Unterstützung, Sicherheit und Selbstbestimmung für die betroffenen Personen
  • Verantwortung und Verhaltensänderung der gewaltausübenden Person
  • Entwicklung der Community hin zu Werten und Praktiken, die gegen Gewalt und Unterdrückung gerichtet sind
  • Strukturelle, politische Veränderung der Bedingungen, die Gewalt ermöglichen

Daraus folgt, dass der gewaltausübenden Person die Möglichkeit zur Verhaltensänderung angeboten wird, statt sie zu bestrafen und auszustossen. Es geht mehr darum, die von Gewalt Betroffenen zu ermächtigen, statt sie bloss zu beschützen. Die eigene Selbstbestimmung soll zurückerobert werden, und nicht bloss als „machtlose“ Person Schutz von Aussen zu erhalten. Diesen Strategien liegt die Annahme zugrunde, dass Betroffene von Gewalttaten über ein grosses Wissen und über Fähigkeiten verfügen, die sie zu potenziellen Akteur*innen sowohl der eigenen als auch der gesellschaftlichen Veränderung machen.

Dies ist ein ganz anderer Ansatz als Gefängnisse, die uns Sicherheit durch Verwahrung verkaufen wollen. Die Gefängnislogik versucht, ein paar „faule Äpfel“ zu isolieren. Doch häufig gibt es gute Erklärungen4, wenn auch keine Entschuldigung für Gewalt.
All diese Ansätze sind nur möglich, wenn die Menschen genug stabile soziale Umfelder haben und sich in der Lage sehen, in einer solchen Situation entsprechend einzuschreiten. Damit dies für alle Menschen möglich ist, müssen wir wohl in einer anderen Welt leben. Die Gründe für einen Kampf gegen Gefängnisse haben nicht nur mit der Strafjustiz und dem Staat zu tun, sondern sind genauso eine Frage nach einer emanzipatorischen und gerechteren Welt.

Eine Person, welche in den letzten Jahren durch die Auseinandersetzung mit Ausschaffungen und dem Ausschaffungsgefängnis Bässlergut begonnen hat, eine grundsätzliche Kritik an der Institution zu entwickeln. Die Person kann nicht verstehen, weswegen Widerstand gegen den Gefängnisausbau nie zu einer Diskussion über Sinn, Unsinn und Notwendigkeit dieser Einsperranstalt führt. Der Text basiert auf einem Input, der im Herbst 2017 am „Bässlergut-Wochenende“ bei der bblackboxx gehalten wurde.

1 entknastung.org
2 transformativejustice.eu/de/
3 Die Untersuchungshaft ist eine Zwangsmassnahme, die dazu dient, die Anwesenheit einer dringend verdächtigen Person im Verfahren sicher zu stellen, die Person von der Begehung von (weiteren) Delikten abzuhalten, Absprachen mit anderen Personen zu vermeiden oder Einwirkungen auf Beweismittel zu verhindern.
4 Aufgrund von Sozialisierung, ökonomischem und kulturellem Hintergrund, Klassenzugehörigkeit, Suchterkrankungen etc. lassen sich gewalttätige Übergriffe durchaus erklären.

«Ich erwarte nichts Grossartiges mehr vom Leben»

Fahim sitzt vor uns und nickt uns freundlich zu. Das soll vielleicht bedeuten, dass wir mit dem Interview beginnen können. Der junge Mann scheint sich nicht allzu stark dafür zu interessieren, was wir in unserem Leben machen, wie wir unser Geld verdienen oder ob wir einer Organisation angehören. Fahim befindet sich seit einigen Monaten im Ausschaffungsgefängnis Bässlergut, wie er uns erzählt. Davor verbrachte er mehrere Jahre in unterschiedlichen Strafanstalten – zuerst in einem Massnahmenvollzug für junge Erwachsene, dann in der Untersuchungs-, Straf- und zuletzt in der Ausschaffungshaft. Er sei schon viel zu lange im Gefängnis und habe seine Strafe längst abgesessen.

Auf die Frage, wie sich die Alltagsgestaltung in der Strafhaft zu der in der Ausschaffungshaft unterscheidet, nennt er als ersten Punkt die Arbeitsmöglichkeit. In der Strafhaft war Fahim gemeinsam mit acht weiteren Insassen sowohl für das Mittags- als auch Abendessen zuständig. Gekocht wurde für 140 Personen.

Das war eine anstrengende Arbeit, bei der ich abends merkte, wie hart ich gearbeitet hatte.

Für 6.5 Stunden Arbeit pro Tag bekam Fahim 22 Schweizer Franken. Fahim gelang es so, Geld anzusparen, was der Grund ist, weshalb er nun im Bässlergut nicht zur Arbeit geht.

Bedingungen im Knast

Im Bässlergut verstehe man sich untereinander grundsätzlich gut, auch wenn es schwierig sei, sich mit den anderen zu unterhalten, da die meisten Englisch, Französisch oder Arabisch sprechen und kein Deutsch können. Seine Zeit schlägt er mit schlafen tot. Mit den anderen Gefangenen sowie den Wärtern habe er nicht viel zu tun. Letztere sehe er nur, wenn er Medikamente (gegen Magenaufstossen), einen Rasierapparat oder Essen bekommt. Ansonsten sei er viel für sich alleine. Bis vor kurzem teilte Fahim die Zelle mit einem anderen Insassen. Seit dieser ausgeschafft wurde, ist Fahim alleine in seiner Zelle.

Das macht mir nichts. Im Gegenteil. Ich bin sogar lieber alleine. Wie die Stimmung im Gefängnis ist oder wie es den anderen geht, interessiert mich nicht. Ich habe es langsam gesehen.

In Fahims Station werden momentan zehn Personen gefangen gehalten – alle mit dem Ziel, baldmöglichst ausgeschafft zu werden. In der Station gibt es sowohl Einzel-, als auch Zweier-, Vierer- und Achterzellen sowie einen Gemeinschaftsraum, welcher mit einem Töggelikasten, Teekocher, Tisch, sowie drei Stühlen, ausgestattet ist.

Gerade gestern wurde im Gemeinschaftsraum eine Kamera installiert. Wahrscheinlich deshalb, weil einige Insassen beim Töggelen eine Zigarette rauchten,

berichtet uns Fahim. Im Gegensatz zur Strafhaft sei das Essen hier miserabel, so Fahim. Manchmal gebe es abends nur Suppe und ein Stück Brot. Gegessen werde in der Zelle, jeder für sich.

Drohende Ausschaffung

Dass er ausgeschafft werden soll, bekam Fahim zum ersten Mal in einem Brief mitgeteilt. Darin waren seine begangenen Straftaten aufgelistet und die Begründung der Ausschaffung notiert. Zwar schob Fahim den Brief vorerst beiseite. Vergessen hat er ihn jedoch nie, wie er uns erzählt. Im Grunde glaubte er stets daran, nach dem Absitzen der Strafhaft in die Freiheit zu kommen. Den Brief erhielt er in einer Zeit, in der er sich auf der Flucht befand. Denn vom offenen Massnahmenvollzug ist Fahim abgehauen und untergetaucht – bis er sich wenige Monate später selber stellte. Doch statt der Weiterführung des Massnahmenvollzugs wurde Fahims Verhalten mit der Einweisung ins Untersuchungsgefängnis sanktioniert, wo er ein Jahr verbrachte.

Im Untersuchungsgefängnis bist du 23 Stunden im Zimmer. Eine Stunde darfst du raus. Erst als ich mich im Rahmen eines Briefes an die zuständigen Behörden wandte, konnte ich das Untersuchungsgefängnis verlassen.

Wie es dazukam, dass er so lange im Untersuchungsgefängnis sein musste, kann er sich nicht erklären.

Nach der Untersuchungshaft folgte die Strafhaft, in der sich Fahim insgesamt zwei Jahre und neun Monate befand.

Die Behörden dort sind die schlimmsten, was die Beantragung von frühzeitiger Entlassung aufgrund guter Führung sowie Urlaubsbewilligungen angeht. Ich bekam weder Urlaub zugesprochen, noch wurde ich wegen guter Führung früher entlassen. Das war jedoch nicht nur bei mir so, sondern bei den meisten anderen auch

schildert Fahim. Zwei Wochen vor Haftentlassung teilte man ihm mit, dass er zur Vorbereitung seiner Ausschaffung in die Ausschaffungshaft kommen würde. Seitdem kämpft Fahim für seine Freilassung. Ein Haftentlassungsgesuch, welches beim Appellationsgericht eingereicht wurde, wurde abgelehnt. Zwar besitzt Fahim – wie er uns erzählt – noch Hoffnung, jedoch werde diese von Tag zu Tag kleiner. Auf die Frage, was er machen würde, wenn er tatsächlich ausgeschafft wird, meint Fahim, dass er maximal drei Monate in Sri Lanka verbringen werde.

Danach werde ich nach Europa zurückkehren. Entweder nach Deutschland oder Österreich, wo ich mindestens fünf Jahre sein muss, bevor ich von dort in die Schweiz einreisen kann.

Kontakte in Österreich hat er schon, wie er berichtet. Er kennt dort einen Boxclub, der ihn gerne aufnehmen würde und ihm auch bei einer Stellensuche behilflich sein könte. Fahim sandte dem Boxclub Videos zu, die ihn beim Boxen zeigen.

Knast & Ausschaffung aus Fahims Blickwinkel

Für Fahim bedeutet ein B-Ausweis dasselbe wie ein F-Ausweis oder ein C-Ausweis. Sein jüngerer Bruder sowie sein Vater besitzen die C-Bewilligung, seine Mutter die B-Bewilligung. Weshalb die Mutter trotz Erwerbstätigkeit und langer Aufenthaltsdauer in der Schweiz keine C-Bewilligung kriegt, weiss er nicht. Sein älterer Bruder ist ebenfalls in Haft, auch ihm droht eine Ausschaffung. Vor fünf Jahren wurde ein Freund von ihm in die Elfenbeinküste ausgeschafft. «Dem geht es dort schlecht, da alle seine Angehörigen in der Schweiz sind», meint Fahim. Fahim ist der Meinung, dass eine Strafhaft unter Umständen Sinn macht. Gerade wenn es darum gehe, bei jemandem eine Einsicht herbeizuführen, könne eine Gefängnisstrafe angebracht sein. Als wir Fahim fragen, ob er sich selbst eine Gefängnisstrafe ausgesprochen hätte, antwortete er:

Ich habe viele Straftaten begangen. Viele, die selbst die Polizei nicht weiss. Für all diese Straftaten sind 4.5 Jahre gerechtfertigt. Eine solche Gefängnisdauer habe ich irgendwie verdient.

Dass jemand nach der Haft ausgeschafft werden soll, verstehe er hingegen nicht. Er kann nicht begreifen, wie man alles – selbst die Familie und die Freunde einer Person – wegnehmen kann. Zudem ist es für ihn absurd, für die Integration einer Person viel Geld zu investieren – nur um sie anschliessend auszuschaffen. Fahim betont, dass er sich in all den Jahren stark verändert und viel gelernt habe. Doch dies interessiere die Behörden nicht. Obwohl er keinen Bezug zu Sri Lanka habe, soll er dorthin abgeschoben werden. Nach 17 Jahren Leben in der Schweiz.

Ich habe meine Schuld bezahlt, die Haft abgesessen. Nun warte ich auf ein Wunder.

 

Politik und Perspektiven

Fahim hat sich – bevor er ins Gefängnis kam – nicht gross mit Knästen und Ausschaffungen auseinandergesetzt.

Solange du nicht in dieser Situation bist, erscheint dir das Ganze weit weg.

Fahim weiss nicht, ob er zukünftig gegen Repressionsmassnahmen eines Staates wie Knast oder Ausschaffung kämpfen möchte. Er geht davon aus, dass die Leute dann mit dem Finger auf ihn zeigen und ihn als Kriminellen bezeichnen würden. An eine Demo zu gehen, braucht für ihn viel Mut, da oftmals eine Konfrontation mit der Polizei stattfindet. Auch seine Freunde sind politisch nicht aktiv.

Wenn ich freigelassen werde, möchte ich nichts Anderes tun als Arbeiten, Boxen und die Zeit mit meiner Familie verbringen. Ich erwarte nichts Grossartiges mehr vom Leben.

Die Autorinnen dieses Artikels führten ein Gespräch mit Fahim und erstellten auf Grundlage des Gesagten den vorliegenden Text. Bezüglich des Textes war es Fahim ein Anliegen, von allem Gesagten das Wichtigste zusammenzufassen. Einen Schwerpunkt wollte er nicht setzen. Für das Gespräch dachten sich die Autorinnen Fragen zu unterschiedlichen Themenkomplexen aus. Vor dem Interview wurde Fahim die Möglichkeit angeboten, frei zu berichten. Fahim bevorzugte die Beantwortung der bereits ausgedachten Fragen. Die Autorinnen des vorliegenden Artikels setzen sich seit geraumer Zeit mit dem Bässlergut auseinander. Dabei geht es ihnen um die grundsätzliche Kritik des Gefängnisses. Die Kritik beruht auf der Ablehnung von Herrschaft der Einen über die Anderen.

WEek END BÄSSLERGUT

Seit Anfang dieses Jahres wird das Ausschaffungsgefängnis Bässlergut am Zoll Otterbach in Basel um ein zweites Gebäude erweitert. Mit einem Diskussionswochenende vom 6.-8. Oktober 2017 rund um die Bblackboxx und unmittelbar neben der Baustelle wollten wir unsere Kritik an diesem Unternehmen mit möglichst vielen Menschen teilen. Und uns über die Verhältnisse, unsere Utopien und eine widerständige Praxis austauschen. Gleichzeitig wollten wir unsere Anwesenheit Teil des Widerstands gegen Knäste, Grenzen und Repression werden lassen. Der Anlass wurde von Einzelpersonen organisiert, die sich bereits in diesem Themenfeld engagiert und darüber auch zusammengefunden haben.

Vielfältige Kritik an den Verhältnissen, die sich im Bässlergut zeigen

Das Programm wurde am Freitagabend mit einem gut besuchten NoLager-Rundgang um das Empfangs- und Verfahrenszentrum (EVZ), den bereits bestehenden Trakt des Auschaffungsgefängnisses Bässlergut I und der aktuellen Baustelle Bässlergut II eröffnet. Das im Gespräch mit Inhaftierten über die Jahre gesammelte Wissen zur alltäglichen Praxis hinter diesen Mauern wurde geteilt. In einem anschliessenden Input wurden die Entwicklungen und Zusammenhänge der Asyl- und Strafpolitik aufgezeigt. Dabei wurde deutlich, dass der Neubau Ausdruck einer Entwicklung ist, nach welcher in Zukunft mehr Migrant*innen und mehr mittellose Menschen eingesperrt werden – was nicht selten die selben sein werden, einfach abwechselnd in Ausschaffungshaft im alten und in Strafhaft im neuen Gebäude.

Mit einer allgemeinen Kritik an der Institution Gefängnis quer durch die letzten zweihundert Jahre wurde der Samstag eröffnet. In Kleingruppen wurde über das subjektive Sicherheitsempfinden gesprochen. Häufig wurde hier das Bedürfnis nach sozialer Sicherheit in Freundeskreisen oder in politischen Zusammenhängen genannt. Dabei spielten die strukturellen Sicherheiten, wie ein Schweizer Pass und die damit verbundenen Privilegien, eine eher untergeordnete Rolle. Kann man Angst vor Hunger haben, wenn man noch nie gehungert hat? Ein Diskussionsteilnehmer hat seine Privilegien auch als Abhängigkeiten beschrieben, da sie entzogen werden können, wenn man nicht mitspielt (Bewegungsfreiheit, diverse Sozialleistungen usw.).Vermittelt durch eine Gruppe von regelmässigen Gefängnisbesucher*innen und inhaftierten Menschen wurde am Samstagnachmittag den Insassen von Bässlergut I ein solidarischer Besuch abgestattet. Für viele Besucher*innen war das eine neue und wichtige Erfahrung. Und auch die Gefangenen haben sich über diese direkte Solidarität gefreut. Ein regelmässiger Besucher bestätigte, dass er noch nie zuvor so viele Menschen im Besucherraum des Gefängnisses erlebt habe. Aus diesem kollektiven Besuch sind nun monatliche, offene Besuchstreffen entstanden (siehe Agenda, S. 70).

Parallel zum Gefängnisbesuch wurde ein Einblick in die historische Entwicklung der Idee und Praxis von Verwahrung gegeben. Tatsächlich existiert in der Schweiz unter diesem Begriff eine langjährige oder sogar lebenslange Haft, die von Psychiater*innen durch den Einbezug von Computerprogrammen zur Diagnose verhängt wurde. Eine anschliessende Diskussion in einer kleineren Gruppe widmete sich der Frage, wie ein solidarischer Umgang mit psychisch erkrankten Menschen gestaltet werden könnte. Im Vordergrund stand dabei die Kritik an der entmenschlichten und normierenden Funktion von psychiatrischen Kliniken, sowie das eigene Unwissen und Unbehagen im Zusammenhang mit psychischen Beeinträchtigungen im eigenen Umfeld. Um solidarisch mit Menschen mit einer psychischen Erkrankung umgehen zu können, braucht es einerseits spezialisiertes Wissen und anderseits aber auch sensibilisierte soziale Verhältnisse, dies ein Schluss aus der Diskussion.

Am späteren Nachmittag wurde eine kurze Geschichte der Privatisierung des Gefängniswesens in den USA erzählt. Eine Vielzahl von internationalen (auch europäischen) Firmen konkurriert um den Markt mit den Häftlingen, betreibt Lobbyarbeit für eine restriktivere Gesetzgebung und beutet die Insassen als Arbeitskräfte aus. Das Gefängniswesen wurde als wirtschaftliche Branche erkennbar.

Der Tag wurde mit einer Filmvorführung vom Kino Vagabund beschlossen: Ausschnitte aus „Vol spécial“ von Fernand Melgar und der Kurzfilm „Einspruch VI“ von Rolando Colla. Eine kontroverse Diskussion drehte sich um die Frage, ob Betroffenheit und Identifikation mit den Opfern des Ausschaffungsregimes die (richtige) Voraussetzung für einen politischen Kampf ist, bzw. wie und ob es den beiden Filmen überhaupt gelingt, strukturelle Zusammenhänge aufzuzeigen und eine klare Haltung dazu einzunehmen. Nicht zuletzt wurde auch die Frage aufgeworfen, was es nützt, zu schauen, wenn man doch handeln müsste.

Am Sonntagmorgen hat uns ein Mensch ohne Papiere seinen Weg durch die schweizer Lager, Gefängnisse und Psychiatrien hin zu einem politischen Umfeld und zum eigenen Kampf aufgezeigt. Schwerpunkt seines Inputs war der Widerstand. Er schilderte, wie ihm der aktive Widerstand gegen das bestehende System, eine damit verbundene Praxis und der Austausch mit Gleichgesinnten eine längerfristige Perspektive in der Schweiz gegeben haben.

Am frühen Nachmittag wurden in einem Workshop die Fragen nach Privilegien, Schuldgefühlen und Solidarität verhandelt. In Kleingruppen wurden die Begriffe definiert und diskutiert. Ein Mensch ohne Papiere mit mehrmonatiger Knasterfahrung meinte, dass Gefängnisbesuche für ihn eine wichtige und starke Geste der Solidarität seien. Gleichzeitig kritisierte er die Gleichsetzung des Begriffes Solidarität mit Wohltätigkeit und karitativer Arbeit, was er in der Schweiz oft erlebt habe. In einigen Kleingruppen wurde auch diskutiert, ob Privilegierte die eigenen Privilegien in einem solidarischen Kampf nutzen sollen, auch auf die Gefahr hin, die Strukturen zu reproduzieren, die diese Privilegien hervorbringen. Oder ob diese Privilegien produzierenden Strukturen als Ganzes abgelehnt werden sollten, auch wenn dann einige Unterstützungsmöglichkeiten wegfallen.

Gedankenanstösse zum Widerstand

Unsere kritische Präsenz neben dem neuen Strafgefängnis Bässlergut II, dem Ausschaffungsgefängnis Bässlergut I sowie dem EVZ stellte eine erste Form des Widerstandes dar. Es gab viele angeregte Diskussionen, in welchen Inhalte vermittelt und kritisch beleuchtet wurden. Die thematisch reichhaltigen Vorträge und das breite Spektrum der Kritik zeigten viele zu bekämpfende Strukturen und Praktiken auf. Schwierig blieb jedoch, wie dieses Wissen und der Austausch in eine widerständige Praxis übersetzt werden können. So hat das Wochenende zwar aufgerüttelt, doch leider kaum neue Handlungsperspektiven eröffnet, sondern teilweise eher ein Gefühl von Ohnmacht bei einigen Teilnehmer*innen hinterlassen. Die Frage, wie und wo sich geteiltes Wissen wieder in eine Praxis überführen lässt, könnte bei einem nächsten Anlass vielleicht schon in der Planung stärker einbezogen werden.
Mehrere direkt Betroffene haben betont, dass ein glaubwürdiger und wirksamer Widerstand eine höhere Bereitschaft zu Handlungen erfordert, welche auch das eigene Leben in Frage stellt und Risiken, wie Geld- oder Haftstrafen oder den Verlust von Privilegien, mit sich bringt. Vielleicht sollten tatsächlich auch diejenigen, die nicht sowieso schon mit einem Risiko leben, den Widerstand ernster verfolgen und auch die damit einhergehenden Risiken nicht scheuen.

Während wir bei der Mobilisierung zum Anlass noch mit oberflächlichen Fragen zur Abschiebepolitik konfrontiert wurden, bewegten sich die Diskussionen während dem Wochenende fast ausschliesslich im Rahmen antikapitalistischer Grundannahmen. Der dominante gesellschaftliche Diskurs für Ausschaffungspolitik à la „es ist eine menschliche Tragödie, aber es können halt nicht alle hierher kommen“ war an diesem Wochenende kein Thema.

Nicht zuletzt wurde auch die Frage aufgeworfen, was es nützt, zu schauen, wenn man doch handeln müsste.

Einerseits ist das eine angenehme Ausgangslage für weiterführende Diskussionen, anderseits gerät dabei auch schnell in Vergessenheit, wie stark jedes Alternativmodell zum aktuellen Migrationsregime auf einen grundsätzlichen gesellschaftlichen Wandel angewiesen ist und auch nur auf diesem Hintergrund verstanden werden kann. Soll die Migrationspolitik sich ändern, muss sich das politische und wirtschaftliche System ändern und damit auch ein Wandel in der Gesellschaft geschehen.

Gemeinsames und Ausgeschlossene

Allgemein war der Anlass mit gut zweihundert Teilnehmer*innen über das Wochenende trotz eher kaltem und regnerischem Wetter sehr gut besucht. Die Menschen aus dem EVZ waren zwar präsent, haben aber nur wenig an den eigentlichen Veranstaltungen teilgenommen, auch wenn sie vor den Veranstaltungen über die Themen und die Übersetzungsmöglichkeiten informiert wurden. Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob die Form des Vortrags mit Diskussion den idealen Raum für einen solchen Austausch bilden kann. Dank der hervorragenden und durchgehenden KüfA wurde in den kurzen Pausen jedoch gemeinsam gegessen und in Einzelgesprächen oder kleinen Gruppen viel diskutiert.
Die Polizei ist trotz kritischem Thema und Ort nur zweimal offen in Erscheinung getreten. Die Repression hat sich leider dennoch auf das Wochenende ausgewirkt. Einige Interessierte waren auf der anderen Seite der Gefängnismauer und nicht wenige haben sich aus Angst vor Verfolgung und Verhaftung nicht an die Veranstaltungen gewagt.

Ausblick

Am 30. Oktober hat bereits ein Folgetreffen stattgefunden, an dem mehr über Perspektiven und Möglichkeiten von Widerstand diskutiert wurde. Deutlich wurde beim Treffen das Bedürfnis nach langfristiger, offener und transparenter Organisation sowie einer klareren Einmischung in den gesamtgesellschaftlichen Diskurs und die Verhältnisse geäussert. Regelmässige, offene Austauschtreffen sind weiterhin geplant. Und auch viele Auseinandersetzungen und Praktiken (wie die aus dem Wochenende hervorgegangenen kollektiven Gefängnisbesuche) gehen offen weiter.
Der Bau des Bässlerguts dauert noch bis 2019. Es ist zu befürchten, dass die darin materialisierten Verhältnisse auch über dieses Datum hinaus bestehen. Denn eine Infrastruktur, die gebaut wird, muss im Anschluss auch genutzt werden. Der gemeinsame Widerstand in Diskussion und Handlung bleibt eine Notwendigkeit!

Zur Erweiterung des Bässlerguts

Das Straf- und Ausschaffungsgefängnis Bässlergut soll um einen zweiten Bau erweitert werden. Der Neubau wird 78 Plätze für den regulären Strafvollzug bieten, wodurch im „alten“ Gebäude neu 73 Plätze der Ausschaffungshaft zur Verfügung stehen. Mit der Erweiterung des Bässlerguts zeigen sich die Entwicklungen zunehmender Kontrolle, Überwachung und Kategorisierung von Menschen.

Geschichte des Bässlerguts

Das Ausschaffungsgefängnis Bässlergut verdankt seinen Namen der Familie Bässler, die bis 1962 das Grundstück als Hofgut Otterbach bewirtschaftete. Nachdem der Boden durch den Staat erworben wurde, entstand darauf 1972 eine Empfangsstelle für Asylbewerber*innen und im Jahr 2000 der heutige Ausschaffungsknast Bässlergut I (Der Einfachheit halber nennen wir den alten Gebäudekomplex Bässlergut I und die Erweiterung Bässlergut II), mit 48 Haftplätzen. Folglich ist die Geschichte rund ums Bässlergut relativ jung und soll hier als Produkt einer Politik verstanden werden, welche nicht der Norm entsprechende Menschen ausgrenzt und kriminalisiert. Dies wird im steigenden politischen Willen der Schweiz ersichtlich, Menschen – in diesem Fall Migrant*innen – konsequenter in erwünscht (nützlich) und unerwünscht (unnützlich) zu kategorisieren und Letztere schnell loszuwerden. Diese Kategorisierung von Migrant*innen geht mit deren Kriminalisierung einher, welche mit der Ausländergesetzrevision 1994 weiter vorangetrieben wurde. Damals befürwortete eine Mehrheit der abstimmenden Bevölkerung die Integration von Zwangsmassnahmen im Ausländergesetz, wodurch die Freiheitsstrafe zur Vorbereitung der Ausschaffung (Administrativhaft) legalisiert wurde. Diese Entwicklung ist nicht nur in der Schweiz, sondern auch international zu beobachten. So festigten Rückübernahmeabkommen die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in der Bekämpfung von Menschen ohne Bewilligung.1 Während die rechtlichen Grundlagen für den Ausbau der Freiheitsstrafe geschaffen wurden, stieg aber der bürokratische Aufwand der Durchführung von Wegweisungen. Folglich dauerte die Vorbereitungszeit zur Ausschaffung länger, während die politische Agenda auch die Anzahl auszuschaffender Menschen ansteigen liess. Die für Ausschaffungen reservierten Plätze in den Knästen des Strafvollzugs Schallenmätteli für Männer und Waaghof für Frauen – wurden der neuen Situation nicht mehr gerecht: neue Plätze mussten geschaffen werden. Die Forderungen nach dem Ausbau der Knäste ging mit der (räumlichen) Trennung von Gefangenen einher. Da Menschen in Ausschaffungshaft sich in Adminstrativhaft be nden (also nicht auf Grund von einer Straftat der Freiheit entzogen werden), sollten sich die Haftbedingungen von jenen im Strafvollzug oder der Untersuchungshaft unterscheiden, so die Argumentation. Um diese Unterscheidung von Gefangenen zu realisieren, eignete sich der Neubau von separaten Knästen. Auch wenn sich in Realität die Haftbedingungen kaum unterscheiden (siehe unten), wurde diese Kritik der Ausschaffungshaft zur Legitimation von neuen Knästen genutzt.2 Dennoch kam es im Jahr 2011 mangels Haftplätzen im Gefängnis Waaghof, zur Umnutzung einer Station für den regulären Strafvollzug im Bässlergut I. 2012 und 2013 wurde je noch eine weitere Station für den Strafvollzug in Betrieb genommen. Das Bässlergut I bietet seitdem Platz für 30 Häftlinge in Ausschaffungshaft und 43 Häftlinge im Strafvollzug. Parallel dazu wurde aus der ursprünglichen, angrenzenden Empfangsstelle für Asylbewerber*innen das heutige Empfangs – und Verfahrenszentrum (EVZ), welches Platz für bis zu 500 Menschen bietet. Diese beiden Entwicklungen gingen mit einer vermehrten Privatisierung einher. Die Privat rma Securitas ist für die Sicherheit im EVZ sowie im Bässlergut zuständig. Im EVZ experimentiert zudem die Aktiengesellschaft ORS mit pro torientierter Betreuung. Dies zeigt sich etwa in der faktischen Zwangsarbeit zu 6.50CHF/2h der Insassen für private Firmen und deren Pro t. Seit dem Frühjahr 2017 wird an der Erweiterung des Bässlergut I gebaut, welche Platz für 78 Häftlinge des Strafvollzugs bieten wird und Ende 2020 in Betrieb genommen werden soll. Die jetzigen Strafhaftplätze werden dann wieder zur Ausschaffungshaft genutzt, womit der Trennung und Kategorisierung der Häftlinge wieder nachgegangen wird. Es sind folglich momentan neue Knastzellen in Entstehung, welche in Zukunft mit Menschen gefüllt werden müssen und die repressiven Entwicklungen der vergangenen zwei Jahrzehnte weiter präzisieren.

Lager mit Sonderrechten

Das EVZ wird im Rahmen der Asylreform 2016 zukünftig in ein Bundeszentrum umgewandelt. Schweizweit sind 16 Bundeslager mit Platz für 5000 Personen geplant. Dabei wird zwischen Verfahrens-, Ausreiseund besonderer Zentren unterschieden. Im Ausreisezentrum wird die Ausschaffung vorbereitet, dafür sind mindestens 100 Tage vorgesehen und betroffen sind meist Menschen, welche auf Grund des Dublin-Abkommens in andere europäische Staaten abgeschoben werden sollen. Die zwei geplanten „besonderen Zentren“ sind spezi sch für sogenannte „renitente“ Asylbewerber*innen, wobei unbestimmt bleibt, ab wann unangepasstes Verhalten als renitent – also störend – betrachtet wird. In Verfahrenszentren werden Befragungen, Rechtsberatungen, Rückkehrberatungen sowie Unterbringung und Beschäftigung von Migrant*innen verwaltet. Die Zeit dieser Verfahren soll auf 140 Tage reduziert werden, allfällige Beschwerdefristen werden dadurch von 30 Tage auf 10 Tage minimiert.3 Durch die in der Aslygesetzrevision 2016 verankerte Konzentrierung der Asylbewerber*innen, sollen deren Anträge künftig ”effizient, kostengünstig und gerecht“ (Bundesrat) behandelt werden können.4 Die Effizienz, von welcher gesprochen wird, bedeutet in Realität, dass Migrant*innen in einem Lager konzentriert und isoliert werden. Durch die Beschleunigung der Verfahren wird die Kategorisierung von Migrant*innen in „erwünscht“ und „nicht-erwünscht“ radikaler und rücksichtsloser umgesetzt. Denn es wird schwerer den Kriterien zu entsprechen sowie sich einem juristischen Entscheid zur Wehr zu setzten. Hinzu werden Rückübernahmeabkommen mit Drittstaaten an Wirtschaftsabkommen gekoppelt (siehe Fiasko Nr. 1/2017), wodurch auch die Zwangsdeportationen aus dem Bässlergut I geschmeidiger ausgeführt werden können. Die kostengünstigeren Verfahren sollen durch die Zentralisierung von Personal und Infrastruktur erreicht werden. Für die Migrant*innen im Verfahren bedeutet das ein Alltag innerhalb des Lagers. Diese praktische Eingrenzung wird durch Stacheldrähte, Überwachungskameras und Ausgangskontrollen zusätzlich verstärkt. Auch die räumliche Nähe der unter-schiedlichen Bauten wiederspiegelt die Realität: Vom Verfahrenszentrum direkt in den benachbarten Ausschaffungsknast, vom Strafvollzug im Bässlergut II wegen illegalem Aufenthalt über einen eingebauten Korridor direkt ins Bässlergut I. Damit das letzte Kernkriterium der Reform der „gerechten Verfahren“ umgesetzt werden kann, wurden sogenannte unabhängige Jurist*innen hervorgehoben. Dass deren Unabhängigkeit zweifelhaft ist, wurde schon mehrmals festgestellt. Dabei sind die kurzen Beschwerdefristen, die räumliche Nähe der Jurist*innen zu Mitarbeiter*innen des Migrationsamtes und Pauschalbezahlung nur einige kritische Faktoren.5 Was jedoch selten angesprochen wird, sind die grundlegenderen Zusammenhänge Angefangen mit der blossen Existenz eines Ausländerrechtes. Ein Gesetz, welches seit 1934 existiert und sich nur an eine spezi sche soziale Gruppe richtet. Es ist folglich in seiner Existenz rassistisch und ausschliessend. Genau wie andere Teile des Schweizer Rechtes ist es geschaffen, um die Privilegien einzelner Personen und deren Eigentum zu schützen. Spricht man von den Rechten von Migrant*innen, werden diese immer nur dann gewährt, wenn sich ein ökonomischer Nutzen daraus ziehen lässt oder die Schweiz das Bild einer Nation, in der die Menschenrechte bedingungslos eingehalten werden, aufrechterhalten will. Hiermit beziehen wir uns auf einen häu gen Einwand, dass im Asylsystem ja die Menschenrechte berücksichtigt würden. Die Wirklichkeit ist vielmehr deren Instrumentalisierung. So unterstützen NGOs wie die Schweizerische Flüchtlingshilfe, Caritas Schweiz, Amnesty International, Heilsarmee, HEKS, Schweizerische Arbeitshilfswerk SAH und der Verband jüdischer Fürsorge diese humane Farce der Politik.6 Auf einer menschlichen, individuellen Ebene, können deren Unterstützungsleistungen durchaus die Situation einzelner Individuen beeinflussen und sollten dafür auch wertgeschätzt werden. Bei der Betrachtung auf einer strukturellen Ebene wird die Problematik dahinter jedoch rasch offensichtlich. Denn durch die Unterstützung, ob rechtlich oder alltäglicher Art, kann das Staatssekretariat für Migration (SEM) seine Verwaltung von Migrant*innen in eine humanitäre Farce hüllen. Wir sehen an den aktuellen Entwicklungen wie plötzlich die Freiheitsstrafe (im Verfahrenszentrum oder im Knast), der Zwang zur Arbeit in Beschäftigungsprogrammen, Isolierung und der Tod (ob auf der Flucht oder aus Ohnmacht in den Asylstrukturen) Teil einer „humanen Asylpolitik“ werden.

Freiwilligenarbeit / Sozialarbeit innerhalb den vorgegeben Strukturen des Lagers werden, wenn auch gut gemeint, Teil vom Lager. Sie werden einerseits in der öffentlichen Debatte helfen, das Lager als humaner Ort zu legitimieren. Anderseits übernehmen sie eine deeskalierende Funktion, in dem sie helfen, die „Eingelagerten“ zu besänftigen und von der Realität abzulenken. Solidarität ist enorm wichtig, sowie auch individuelle Unterstützung, doch sollte dabei eine Selbstre exion über die eigene Rolle bestehen und dementsprechend Wege gefunden werden, wie die Lagerstrukturen und somit die Isolierung und Fremdbestimmung aufgebrochen werden können. NGOs wie die Schweizerische Flüchtlingshilfe sind ein Beispiel für all diejenigen Organisationen, die die grundlegenden Probleme nicht ansprechen und bei der Ausgestaltung der Verwaltung des Elends beratend zur Seite zu stehen. Die neue Strukturierung der Schweizer Migrationspolitik zielt folglich darauf ab, Migrant*innen stärker zu konzentrieren, zu isolieren und zu verwalten. Die beschreibenden Schlagwörter von ”ef zient, kostengünstig und gerecht“ versuchen somit eine Lagerpolitik als demokratisch und fair zu verkaufen; in Wirklichkeit beschreibt es jedoch ein unterdrückendes und ausbeuterisches System. Abschliessend ist wichtig festzuhalten, dass dies durchaus nicht neue Tendenzen sind. Das Neue der aktuellen Entwicklungen ist nur, dass nun auch die Infrastruktur für die bereits vorhandenen Abläufe der Migrationspolitik gebaut wird. Diese Infrastruktur wird es noch schwerer machen, sich autonom zu bewegen, zu organisieren und selbstbestimmt zu leben. Während die Aggressivität der Behörde steigt, wird die Erfüllung der Vorschriften noch schwerer – und gegen Abweichungen konsequenter vorgegangen werden.

Exkurs: Lager

Die Bundeszentren erfüllen die Eigenschaften von allen Lagern. Diese Eigenschaften beinhalten die räumliche Konzentration einer spezifischen sozialen Gruppe sowie die Unterwerfung und Kontrolle derselben, was entweder die Re-Integration in die Gesellschaft oder die definitive Ausgrenzung / Wegweisung aus dieser zum Ziel hat. Dabei beschränken sich Lager nicht nur auf Migrant*innen, sonder auf diverse soziale Gruppen. So existieren in der Schweiz Lager für Menschen mit einer Behinderung, Menschen mit psychischer Erkrankung oder ältere Menschen; mit der selben Funktion des Ausschlusses wegen geringem ökonomischem Wert.

Das Aufleben der Freiheitsstrafe

Die aktuellen Entwicklungen betreffen jedoch nicht nur Menschen ohne gültige Aufenthaltspapiere. Mit der Erweiterung des Bässlerguts werden auch Haftplätze für Menschen im regulären Strafvollzug erstellt. Vorgesehen sind diese Plätze für kurze Haftstrafen bis zu einem Jahr. Das neue Sanktionsrecht, welches ab Januar 2018 in Kraft treten wird, sieht eine Lockerung bei der Aussprechung von kurzen Freiheitsstrafen von unter sechs Monaten vor. Dies soll zum Tragen kommen wenn die Gefahr besteht, dass der Täter / die Täterin erneut straffällig wird oder aufgrund der finanziellen Situation einer verurteilten Person anzunehmen ist, dass sie nicht in der Lage ist, der ausgesprochenen Geldstrafe nachzukommen. Diese Umwandlung von einer Geld – zu einer Freiheitsstrafe trifft in der Praxis oft bei einer Verurteilung aufgrund eines illegalen Aufenthaltes zu. Dabei übernimmt der Knast in unserer Gesellschaft eine abschreckende Funktion ein. Für viele Menschen reicht die Drohung / Möglichkeit eines Freiheitsentzug und die damit verbundene Konsequenz, für eine vom Staat festgelegte Zeit, komplett fremd verwaltet und jeglicher Autonomie beraubt zu werden, aus, um sich nicht gegen die bestehende Ordnung zu wehren und die eigene Position und Funktion in dieser Gesellschaft zu akzeptieren. Natürlich unterscheiden sich die Konsequenzen einer Haftstrafe und die Perspektiven am Ende der Strafzeit für Menschen mit Schweizer Papieren von denjenigen von Menschen ohne Schweizer Papiere, jedoch bleibt die gesellschaftliche Funktion des Knastes dieselbe.

Widerstand

Das Bässlergut wird seit seinem Bau von unterschiedlichen Personen aus dem Innern und von Aussen bekämpft. Rebellionen innerhalb des Gefängnisalltags in Form von Beleidigungen des Personals, Hungerstreiks oder Arbeitsverweigerung widersetzen sich der repressiven Praxis, während Aussen verschiedene Netzwerke die Gefängnispraxis beobachten, dokumentieren und vehement kritisieren. 2008 stifteten einige Häftlinge einen Brand und brachten damit ihre Wut zum Ausdruck. Als Folge wurden sie hart sanktioniert (z.B. mit Besuchsverbot). 2010 kam an die Öffentlichkeit, dass ein minderjähriger Mann nackt in Isolationshaft gehalten wurde.7 Der damalige Direktor musste seine Stelle daraufhin verlassen. Danach lief vieles „politisch korrekter“ ab, da Schikane und Unterdrückung jedoch der Freiheitsstrafe inhärent sind, nahmen diese dabei keineswegs ab. Weiterhin ermächtigen sich Häftlinge innerhalb des Bässlerguts selber, auch wenn der psychische Druck und Handlungsspielraum innerhalb der Mauern extrem stark lasten. Hungerstreiks, Drohungen, Verweigerung der Zwangsausreise und / oder der Knastarbeit sind auch heute Teil des täglichen Widerstands. Angeprangert wird dabei die Praxis der Isolationshaft (Menschen werden teilweise immer noch nackt eingesperrt), sowie die schlechte Nahrung und unzureichende medizinische Versorgung. All dies wurde durch Gespräche mit inhaftierten Menschen bekannt. Zudem ziehen seit Jahren kleine und grössere Demonstrationen vor das Bässlergut, Farbangriffe und Feuerwerke symbolisierten die Solidarität mit den Gefangenen. Das Bässlergut entwickelte sich dadurch zu einem Ort in Basel, an dem Menschen ihren Unmut gegen das bestehende System äussern, aber auch wo der Staat seinen „Freund und Helfer“ in Kampfmontur losschickt und damit seine Macht demonstriert. 2015 kam es im Rahmen einer Demonstration gegen die in Basel statt ndende Militärübung CONEX vor dem Bässlergut zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen einigen Demonstrant*innen und den Bullen, wobei Letztere entschlossen angegriffen wurden. Im Jahr 2016 gab es diverse Versuche, Ausschaffungen durch das Manipulieren des Eingangtors und das Blockieren der Einfahrt, direkt zu verhindern. Zudem gab es verschiedene Knastspaziergänge, wo sich die Menschen hinter und vor dem Gitter ihre gegenseitige Solidarität bekundeten und kurze Dialoge möglich waren. Seit dem Baubeginn von Bässlergut II im März 2017, gab es diverse Sabotageakte auf Kleinund Grossunternehmen, die sich direkt am Bau beteiligen und daran bereichern. Eine Demonstration mit dem Endziel Bässlergut, wurde von den Bullen nach einem misslungenen Kessel-Versuch aufgelöst. Doch kritische Diskussionen, Info-Veranstaltungen und praktische Aktionen werden damit nicht eingedämmt, sondern vielmehr verbreitet. Das Bässlergut wurde zu einem Ort, der viele Menschen und vielfältige Widerstandsformen vereint, um eine grundsätzliche Kritik an den aktuellen Entwicklungen und gesellschaftlichen Verhältnissen auszuüben. Denn es sind die drei ineinander ver-wobenen Ebenen der Verwaltung von Migrant*innen im Bundeslager und Einsperren in gesonderten Knästen, die Zunahme von Freiheitsstrafen im Strafvollzug sowie die Rolle humanitärer Organisationen, welche im Projekt Bässlergut klar ersichtlich werden. Neben dem Ort, wo Migrant*innen ankommen der Ausschaffungsknast, welcher wiederum mit einem Korridor zum Strafvollzug verbunden ist. Die Infrastruktur ist aufeinander abgestimmt, genauso wie ihre gesellschaftlichen Funktionen auch miteinander in Verbindung stehen: Menschen, die nicht der Norm entsprechen, welche nicht den ökono- mischen Nutzen erbringen oder sich gar dieser zu Wehr setzen, werden kriminalisiert, konzentriert und eingesperrt. Durch die breite Dimension der Entwicklungen um das Bässlergut, wird auch eine Palette von Widerstandsformen möglich und notwendig. Ob autonome Unterstützungsstrukturen, die Verbreitung einer grundlegenden Kritik, Druck auf ausführende Akteure oder andere Formen des Unmuts – wichtig ist, dass wir dabei laut, kreativ und störend bleiben!

Wir sind zwei Frauen, die in Basel aufgewachsen – und mit den Privilegien des Schweizer Passes grossgeworden sind. Durch persönliche Kontakte und eigene Erfahrungen sind wir wütend über die herrschenden Zustände und auf die Gesellschaft, von der wir selbst ein Teil sind.

Meine Erfahrung als schwarzer Migrant in der Schweiz

Teil 1

Das Leben in der Schweiz könnte als Gefängnisleben de niert werden. Ich bin im Gefängnis, bloss weil ich keine Dokumente habe. Das Leben hier ist voller Anspannung, denn wenn du von der Polizei kontrolliert wirst, landest du im Gefängnis. Wir Immigrant*innen in der Schweiz haben keinen Frieden und es gibt für uns keine Menschenrechte. Wir haben auch keine Freiheit – vor allem wir schwarzen Menschen. Kannst du dir vorstellen, dass ein*e Polizist*in irgendwo, wo viele Leute sind, reinspaziert und nur die Schwarzen kontrolliert, während er*sie die anderen in Ruhe lässt, bloss aufgrund ihrer Hautfarbe? Ist das nicht eine rassistische Praxis? Hier gibt es keine Liebe und keinen Respekt für Immigrant*innen, vor allem schwarze Menschen. In kaum einem Land gibt es so rassistische Polizist*innen wie in der Schweiz, aber das bekommst du nicht mit, wenn du eine echte Schweizer*in bist. Aus vielen meiner Erfahrungen als schwarzer afrikanischer Migrant in der Schweiz, schliesse ich, dass einige Gesetze hier vor allem für Migrant*innen gemacht sind. Aber Menschen ausserhalb des Gefängnisses wissen das nicht, denn die Schweizer Polizei und Regierung geben in der Öffentlichkeit ein gutes Bild ab und alle denken ihre Regierung und Polizei seien korrekt. Dabei habe ich davon schon oft von Leuten gehört, bevor ich es hier im Gefängnis selbst erlebt habe. Nichtsdestoweniger ist meine Erfahrung als schwarzer Migrant in einem Schweizer Gefängnis, dass sie uns hier wie Sklav*innen behandeln. Der Sicherheitstyp weckt uns morgens um 07:15, indem er die Türe öffnet. Dabei stellt er sicher, dass die Türen weit geöffnet sind, um uns zu stören und aufzuwecken. Wenn du fragst, wieso er das tut, wirst du folgende Antwort kriegen: „Das ist ein Gefängnis und kein Hotel!“ Wenn du Besuch hast, wie es dir von Gesetzes wegen zusteht, musst du dich zuerst vor den Wärtern nackt ausziehen. Auch wenn du schon oft Besuche hattest, verlangen sie es. Wenn sie dich durchsuchen und du sie fragst wieso, sagen sie dir, dass du dich einfach nackt ausziehen musst und dich als Person sowieso nicht weigern darfst. Wenn du dich weigerst, bringen sie dich an einen Ort, den sie Bunker nennen – das ist ein sehr schlimmer Ort, wo du alleine in einen Raum gesperrt bist und von ihnen gefoltert wirst. Es kann sein, dass du eine ganze Woche dort sein musst, ohne jemals hinauszukommen oder zu sehen. Wir sind denen hier im Gefängnis völlig egal. Ehrlich gesagt, haben die meisten Menschen, die ich im Gefängnis traf, nichts verbrochen. Einige von ihnen waren zwei Jahre im Gefängnis, andere nur sechs Monate und dann gab es auch solche, die waren noch länger drin. Und wenn du sie fragst, findest du heraus, dass sie bloss sitzen, weil sie keine Papiere oder Dokumente haben. Etwas anderes was ich hier im Gefängnis erfahren habe, ist, dass wenn du hierher gebracht wirst, die Polizei all dein Geld wegnimmt, so dass du gezwungen bist im Gefängnis zu arbeiten. Sie geben dir hier eine Arbeit, die zwei Stunden dauern sollte, aber wir müssen immer zweieinhalb Stunden arbeiten. Es ist eine sehr anstrengende Arbeit, aber sie bezahlen nur sechs Franken am Tag. Zum Essen. Wir essen hier im Gefängnis nur zweimal am Tag. Sie geben uns um elf Uhr Essen und das Abendessen gibt es um fünf Uhr. Es gibt hier im Gefängnis einen kleinen Kiosk, wo die Sachen für den doppelten Preis wie draussen verkauft werden und der Kiosk hat nur freitags geöffnet, also einmal pro Woche für zwanzig Minuten. Wenn du also diese zwanzig Minuten Einkaufszeit verpasst, musst du bis zum nächsten Freitag warten. Weiter oben habe ich erzählt, dass dir das Geld, das du auf dir trägst, abgenommen wird, also musst du im Gefängnis arbeiten. Wenn du dich weigerst, werden sie dich hassen und du wirst zu vielen Dingen hier keinen Zugang bekommen. Sie gehen sicher, dass du bestraft wirst. Damit sie dich ins Spital bringen, musst du richtig krank sein. Wenn du nur ein bisschen krank bist, kannst du es vergessen, denn sie behandeln dich hier wie einen SKLAVEN. Und wenn du zum Spital gebracht wirst, werden deine Hände und deine Füsse selbst während der Behandlung durch die Polizei gefesselt sein, ausser der*die Doktor*in weist die Polizei an, die Fesseln abzunehmen. Ansonsten bleiben die Fesseln, vom Losgehen, bis du wieder zurück im Gefängnis bist. Wenn du zum Gericht gehst, wirst du beim zurückkommen am ganzen Körper durchsucht. Auch wenn du sonst irgendwo-hin gehst. Wenn du sie fragst wieso, sagen sie dir, weil du in der Schweiz bist. Etwas anderes. Hier im Gefängnis hast du das Recht eine Anwältin oder einen Anwalt zu treffen – entweder sie teilen dir eine*n zu oder du hast die Erlaubnis selbst eine*n zu suchen. Aber sie verweigern es dir. Und wenn du fragst weshalb, erhältst du als Antwort: „Nein, du bist in der Schweiz.“ Alle diese Behandlungen hängen damit zusammen, dass wir keine Papier oder Dokumente haben – was sie ILLEGAL nennen. Wenn du von der Polizei oder Grenzwache kontrolliert wirst und nicht die richtigen Papiere hast, bringen sie dich auf die Wache um die Fingerabdrücke abzunehmen und zu sehen, ob du sie schon sonst wo in Europa abgegeben hast. Wenn du das hast, wirst du dorthin geschickt wo du zuerst registriert wurdest. Wenn du sie nirgends in Europa hast, wird dich die Migrationspolizei zwingen in der Schweiz einen Asylantrag zu stellen und nach drei Monaten wirst du mit einem Negativentscheid abgelehnt und sie stecken dich ins Gefängnis. Du wirst vor Gericht gebracht, wo du drei Monate für illegalen Aufenthalt bekommst. Dann, nach drei Monaten, geben sie dir weitere drei Monate bis vielleicht 18 Monate und dann wirst du in dein Ursprungsland ausgeschafft. Wenn du zum Beispiel in der Schweiz einen Negativentscheid hast und in ein anderes Land gehst, ruft das Land die Schweiz an und bittet die Behörden dich zurück zu schicken. Zurück in der Schweiz bringt dich die Migrationspolizei ins Gefängnis und nach zwei Tagen zum Gericht – stell dir vor für „illegal sein.“ Sie stellen dir keine*n Anwält*in zur Seite und sie sind alle gegen dich und fragen, wieso bist du aus der Schweiz ausgereist? Wenn du sagst, weil ich einen Negativentscheid erhalten habe, sagen sie dir, dass du kein Recht hast irgendwohin zu gehen ausser in dein Ursprungsland und du darfst vor Gericht nicht einmal deine Sicht darlegen. Ausserhalb des Gefängnisses Häu g geht die Polizei hier in der Schweiz in afrikanische Shops um schwarze Menschen zu kontrollieren, die etwas zu Essen oder zu Trinken kaufen. Dies schreckt manchmal die Kund*innen des Shops davon ab dort weiterhin einzukaufen. Deshalb sagte ich, dass wir Schwarze oder schwarze Immigrant*innen in der Schweiz mehr als in anderen europäischen Ländern voller Angst durch die Strassen gehen. Wir sollen verstehen, dass wir als schwarze Immigrant*innen hier keine Rechte haben.

Teil 2

Das Leben in der Schweiz ist geprägt von Gefängnis, wenn du keine Dokumente hast, denn wenn du von der Polizei kontrolliert wirst, stecken sie dich ins Gefängnis. Und wenn du ein Dokument von einem anderen europäischen Land hast, versuchen sie dir ein VERBOTEN zu geben, was heisst, du darfst für so und so viele Jahre nicht mehr in die Schweiz kommen. Es ist unterschiedlich, wie viele Jahre sie einer Person geben (Ich kenne einen Mann, der eine Einreisesperre bis 2099 bekam). Es gab einen Fall, da die Polizei in einen afrikanischen Shop ging. Nach der Kontrolle, gingen sie mit einem schwarzen Mann weg, und der schwarze Typ fragte sie „Wieso soll ich mit euch gehen, wenn ich doch ein Dokument habe?“ Sie sagten ihm, dass er ein VERBOTEN in Frankreich habe und er sagte „Ja, aber hier ist nicht Frankreich sondern die Schweiz.“ Stell dir vor, er schlief in einer Polizeizelle für drei Tage, bis sie ihn zum Gericht brachten. Dort fragte ihn der Richter, was der Mann gemacht habe. Die Polizistinnen sagten, er habe ein VERBOTEN. Der Richter fragte sie darauf, wo, wann und in welchem Land er es habe. Denn der Angeklagte sagte, er habe nur ein VERBOTEN für Frankreich für zehn Jahre und er sei nie mehr in Frankreich gewesen. Der Richter sagte den Polizist*innen, sie hätten ein Woche Zeit, den genauen Ort herauszufinden, wo er das VERBOTEN erhielt. Aber sie konnten es nicht heraus finden und mussten ihn nach einer Woche wieder entlassen. Sie sagten sie hätten Frankreich angerufen und das VERBOTEN gelte nur für Frankreich. In ihrem System konnten sie nichts gegen ihn finden. Das ist was wir Schwarzen oder Immigrant*innen hier in der Schweiz erleben. Wenn du im Gefängnis arbeitest und das Migrationsamt dich in dein Ursprungsland zurückschicken will, geben sie dir das Geld, für das du gearbeitet hast, nicht. Das ist sehr SCHLECHT. Sie behandeln uns, als ob wir TIERE wären. Wenn deine Frau oder deine Freundin dich besucht und ihr im Besucherraum eure Hände haltet, stellt dir vor, kommt die Wache und befiehlt euch, euch nicht an den Händen zu halten, und sagt, dass deine Frau oder Freundin Probleme mit ihm bekommen würde, wenn ihr es nicht unterlässt. Stell dir die Beleidigungen vor, die wir von ihnen aushalten müssen. Du kannst deine Frau oder Freundin nicht umarmen, weil du im Gefängnis bist, weil du ILLEGAL bist. Das nenne ich VERLETZUNG DER MENSCHENRECHTE! Im Übrigen sind die Dinge die ich hier beschrieben habe wenig verglichen mit dem, was wir im Schweizer Gefängnis tagtäglich sehen.

Baubeginn Neubau Bässlergut

Im Februar begann der Ausbau des Ausschaffungsgefängnis Bässlergut in Basel. Neben dem bestehenden Gebäude wird ein weiteres gebaut. Das alte Gebäude steht dann nur noch der Ausschaffungshaft zur Verfügung, während das neue dem Strafvollzug dienen wird. Das heisst, dass für beide Haftarten mehr Plätze zur Verfügung stehen werden. Dieser Bau steht für eine Konzentration und Ausweitung der staatlichen Repression und Kontrolle. Ausgeführt wird der Bau von der Firma Implenia und geplant wurde er vom Architekturbüro Bollhalder Eberle.

Das Geschäft mit den Ausschaffungen

Ein Poltern an die Zellentüre des Gefängnisses Bässlergut kündigt die bevorstehende Ausschaffung an: Aren* macht sich bereit zum Widerstand. Weil er seine Zelle nicht verlassen will, versuchen ihn vier Polizisten aus dem kleinen Raum herauszuzerren und treten ihn mit ihren Schuhen. Verprügelt wird Aren, bis es den Polizisten möglich ist, ihm Fesseln anzulegen, die seine Hände und Füsse zusammenpressen. Als Letztes bekommt er einen Helm übergestülpt, man bringt ihn ins vor dem Gefängnis wartende Auto. Es folgt die Fahrt von Basel zum Genfer Flughafen, wo bereits der Sonderflug für die Level-4-Ausschaffung nach Liberia bereit steht.

Die zweite Ausschaffung

Angekommen in der Hauptstadt Monrovia kommt es zum Interview mit dem liberianischen Migrationsamt. Aren versucht, seine Ausschaffung im letzten Moment zu verhindern und erklärt, nicht aus diesem Land zu kommen. Schliesslich bezeichnet er sich als Nigerianer. Die Verneinung und Arens Bezeichnung als einem anderen Staat angehörig, führt zu Verwirrung in dem kleinen Büro, in welchem sich neben Aren nur die zuständige Person des liberianischen Migrationsamts befindet; die Schweizer Polizisten sind nicht zugelassen. Schliesslich weigern sich die Migrationsbehörden, ihn ohne klare Identitätsüberprüfung in das Land aufzunehmen. Ohne Einreiseerlaubnis einer Ausschaffungsmöglichkeit beraubt, fliegen die Polizisten mit Aren wieder denselben Weg zurück in die Schweiz. Hier angekommen wird ihm mitgeteilt, er sei nun frei. Aren wird zurück in die Asylunterkunft in Sissach gebracht. Dort untersucht ihn ein Arzt. Er stellt Verletzungen im Ohr, am Bein und Knie sowie den Händen fest und will Aren wegen seinen inneren Verletzungen im Spital untersuchen lassen. Dazu kommt es jedoch nicht mehr: Ein weiteres Mal wird Aren in der darauffolgenden Nacht klopfend geweckt und wiederum zurück ins Gefängnis Bässlergut gebracht. Er werde nun nach Nigeria ausgeschafft, wird ihm hier mitgeteilt. Eine zweite Ausschaffung in so kurzer Zeit sei unrealistisch, ist sich Aren sicher. Zum einen befindet er sich unmittelbar vor dem Ablauf der 18-monatigen Ausschaffungshaft. Laut geltendem Recht müsste er nach dieser Zeit aus der Haft entlassen werden. Zum anderen ist er sich sicher, dass niemand denkt, dass er Nigerianer sei. Denn als Aren sein Asylgesuch stellte, deklarierte er klar, Liberianer zu sein. Das schweizerische Migrationsamt glaubte ihm jedoch nicht und leitete stattdessen eine Befragung durch eine nigerianische Expertendelegation ein; eine nigerianische Staatsangehörigkeit verneinte diese jedoch.
Doch seine Hoffnung wird enttäuscht: Eine Woche später wird Aren mit einem Frontex Sammelflug nach Nigeria ausgeschafft. Obwohl es kein weiteres Interview mit der nigerianischen Botschaft gab, stellte diese lediglich aufgrund von Aussagen einer Drittperson ein Laissez-passer (Ersatzdokument) aus.

Migrationspartnerschaften

Laut der Asylstatistik des schweizerischen Staatssekretariats für Migration (SEM), ist Aren eine von 101 Personen, die im Jahr 2016 nach Nigeria ausgeschafft wurden. Damit liegt das Land, verglichen mit anderen afrikanischen Ländern, an erster Stelle, gefolgt von Tunesien mit 59 Ausschaffungen.

2011 schlossen die Schweiz und Nigeria eine Migrationspartnerschaft ab. Der Vertrag verpflichtet Nigeria mittels eines Rückübernahmeabkommens dazu, auch unfreiwillige Ausschaffungen zu akzeptieren.

2011 schlossen die Schweiz und Nigeria eine Migrationspartnerschaft ab. Der Vertrag verpflichtet Nigeria mittels eines Rückübernahmeabkommens dazu, auch unfreiwillige Ausschaffungen zu akzeptieren.
Neben Nigeria schloss die Schweiz solche Partnerschaften bereits mit Tunesien, Kosovo, Serbien sowie Bosnien und Herzegowina ab, diesen Oktober kam es zu ersten Vereinbarungen mit Sri Lanka. Ziel der Partnerschaften ist es, „die Zusammenarbeit im Migrationsbereich zu stärken sowie die illegale Migration und deren negative Folgen zu mindern“ (Art. 100 AuG). Neben dieser Definition sind im Ausländergesetz mögliche Abkommen, beispielsweise zur Visumspflicht und Grenzkontrollen, Ausschaffungen und beruflichen Aus- und Weiterbildungen aufgeführt.
Wie diese Abkommen konkret umgesetzt werden, ist unklar. Gesuche zur Einsicht in die mehrere tausend Dokumente umfassenden Vereinbarungen der zwischen der Schweiz und Nigeria abgeschlossenen Migrationspartnerschaft sind noch in Abklärung. Lediglich vereinzelte Medienmitteilungen des Bundesrates geben einen kleinen Einblick in die konkreten Umsetzungen dieser Partnerschaften. So wurde zum Beispiel in Zusammenhang mit der Migrationspartnerschaft ein Pilotprojekt zur Polizeizusammenarbeit lanciert, das Stage-Einsätze von nigerianischen Polizeibeamten in der Schweiz ermöglichte. Zudem wird die Migrationspartnerschaft zwischen der Schweiz und Nigeria insbesondere im Hinblick auf die  zusammen mit der Firma Nestlé realisierten „innovativen Migrationsprojekte“ gelobt. In einem Bericht des Bundesrates vom 2. Juli 2014 heisst es: „Als Beispiel sei die Zusammenarbeit zwischen dem BFM [heutiges Staatssekretariat für Migration] und Nestlé genannt. Dabei handelt es sich um eine öffentlich-private Partnerschaft, welche die fachliche Ausbildung von dreizehn jungen Menschen aus Nigeria unterstützt. Die fünf besten durften im Sommer 2013 ein Praktikum in der Schweiz absolvieren.“ Im Vergleich mit den Ausschaffungen ist es eine absurde Zahl, mit der hier die Migrationspartnerschaft in Zusammenarbeit mit Nestlé zu legitimieren versucht wird.

Nestlés Profit mit dem Wasser

Nigerias Wasserressourcen sind knapp: Durch den Klimawandel verursachte Dürren führen zu immer weniger fruchtbarem Boden. Die Folgen dieser Entwicklung sind vermehrte Konflikte um die übriggebliebenen Flächen und Migration aus ländlichen Regionen in Städte mit oft unzureichender Infrastruktur und Arbeit.
Von genau dieser Wasserknappheit profitiert Nestlé. Seit Jahren kauft der Schweizer Konzern in Nigeria Wasserrechte auf. Durch die Produktion des unter dem Namen „Pure Life“ verkauften Flaschenwassers würden Arbeitsplätze geschaffen und der Zugang zu sauberem Trinkwasser ermöglicht, heisst es in der offiziellen Erklärung. Jedoch klammern diese Darstellungen aus, dass die meisten Menschen in Nigeria sich das in Plastikflaschen verkaufte Wasser gar nicht leisten können. Durch die Privatisierung von Wasserrechten wird also dem grössten Teil der Bevölkerung der Zugang zu sauberem Wasser nicht erleichtert, sondern vielmehr verwehrt. Auf die Vorwürfe der profitgesteuerten Wasserproduktion angesprochen, meint Peter Brabeck-Letmathe, ehemaliger CEO und aktueller Präsident des Verwaltungsrates von Nestlé: „Wasser ist ein Lebensmittel. So wie jedes andere Lebensmittel sollte das einen Marktwert haben. Ich persönlich glaube, es ist besser, man gibt einem Lebensmittel einen Wert, sodass wir uns alle bewusst sind, dass das etwas kostet.“
Die Zusammenarbeit mit Nestlé, deren Privatisierung von Wasserrechten in Nigeria gut dokumentiert ist und die sämtliche existentiellen Realitäten nicht beachtet, als Exempel für den Erfolg einer Migrationspartnerschaft zu erwähnen, ist bezeichnend. Es ist ein Beispiel für die Doppelseitigkeit, mit Privilegien wie Reisefreiheit, Schutz und Berufsmöglichkeiten für eine kleine, ausgewählte Gruppe auf der einen und damit in Zusammenhang stehende verstärkte Repression gegenüber einer Mehrheit auf der anderen Seite. Die Migrationspartnerschaft zwischen der Schweiz und Nigeria institutionalisiert somit nicht nur eine unmenschliche Ausschaffungspraxis; vielmehr wird dadurch eine profitwirtschaftliche Logik unterstützt, die den Alltag des grössten Teiles der Bevölkerung prekarisiert und somit eine Ursache für Migration darstellt.

Ausschaffungslevels
Art. 28 der Zwangsanwendungsverordnung sieht folgende Vollzugsstufen vor:
Vollzugsstufe 1: Die rückzuführende Person hat einer selbstständigen Rückreise zugestimmt. Sie wird von der Polizei bis zum Flugzeug begleitet; die Rückreise erfolgt ohne Begleitung;
Vollzugsstufe 2: Die rückzuführende Person hat einer selbstständigen Rückreise nicht zugestimmt. Sie wird in der Regel durch zwei Polizistinnen oder Polizisten in Zivil begleitet. Sofern nötig, können Handfesseln eingesetzt werden;
Vollzugsstufe 3: Es ist zu erwarten, dass die rückzuführende Person körperlichen Widerstand leistet, der Transport mit einem Linienflug ist jedoch möglich. Die rückzuführende Person wird in der Regel von zwei Polizistinnen oder Polizisten in Zivil begleitet. Bei der Rückführung können Handfesseln und andere Fesselungsmittel sowie körperliche Gewalt eingesetzt werden;
Vollzugsstufe 4: Es ist zu erwarten, dass die rückzuführende Person starken körperlichen Widerstand leistet; für den Transport ist ein Sonderflug nötig. Jede rückzuführende Person wird von mindestens zwei Polizistinnen oder Polizisten begleitet. Es dürfen die gleichen Zwangsmittel eingesetzt werden wie bei der Vollzugsstufe 3.
Vollzugstufe 1 entspricht der umgangssprachlichen „selbstständigen Ausreise“, Vollzugsstufe 2 der „kontrollierten Rückführung“, Vollzugsstufe 3+4 dem „Sonderflug“.

Quelle
Dieser Text entstand nach der Begegnung mit der erwähnten Person im Ausschaffungsgefängnis. Wie es ihr heute geht, weiss die schreibende Person nicht: Jeglicher Kontakt ist nach der Ausschaffung abgebrochen.
Für Informationen zu Nestlés Wasserinvestitionen

Staatliche Gewalt im demokratischen Gewand

In der Schweiz werden tausende Menschen in Ausschaffungshaft gefangen gehalten.1  Bis zu 18 Monate bleiben die Betroffenen im Gefängnis. Im Vergleich zum Strafvollzug beruht die Ausschaffungshaft nicht auf einem strafrechtlichen Tatbestand, sondern bloss auf dem Verdacht, dass sich eine Person der Wegweisung entziehen könnte. Das Migrationsamt kann die Haft aber nicht einfach über eine Person verhängen, sondern muss dies im Sinne einer demokratischen Gewaltentrennung vom Gericht für Zwangsmassnahmen absegnen lassen. In der Praxis folgen die Gerichte praktisch immer den Haftanträgen des Migrationsamtes, das diese alle drei Monate erneuern muss. Eine Analyse dieser Prozesse zeigt, wie Gesetz und Gerichtspraxis die Verhängung der entwürdigenden und psychisch zerstörerischen Ausschaffungshaft demokratisch und juristisch legitimieren.

Begründungen für die Ausschaffungshaft

Das Gesetz ist so formuliert, dass die Gerichte ein enorm grosses Spektrum an Möglichkeiten erhalten, um die vom Migrationsamt verordnete Ausschaffungshaft zu legitimieren:

  • Um Ausschaffungshaft zu verhängen reicht es, wenn die Person in irgendeinem protokollierten Gespräch erwähnte, dass sie gerne in der Schweiz bleiben möchte, oder dass sie nicht in ihr Heimatland zurückkehren will.
  • Im Urteil wird meist darauf hingewiesen, dass sich die betroffene Person bis anhin in keiner Weise an behördliche Anordnungen gehalten habe. Dazu reicht es, der Anordnung, das Land zu verlassen, nicht Folge geleistet zu haben.
  • Gegen die inhaftierte Person wird verwendet, dass sie keinen Pass auf sich hat. Da die meisten Geflüchteten entweder keinen Pass besitzen, ihn verloren oder irgendwo versteckt haben, damit er ihnen nicht abgenommen wird, kann dieses Argument fast immer angeführt werden.
  • Es wird von den Gefangenen erwartet, dass sie bei der Beschaffung des Reisepasses behilflich sind, da die Wegweisung so viel leichter vollzogen werden kann. Die Person habe nichts unternommen um bei der Papierbeschaffung mitzuwirken, heisst es dann im Urteil zur Haftverlängerung. Dass dies aus dem Gefängnis heraus äusserst schwierig ist, wird dabei nicht beachtet. Ausserdem hilft wohl niemand den Behörden freiwillig, die eigene Zwangsausschaffung durchzusetzen.
  • Die Ausschaffungshaft muss, wenn keine Wegweisung vollzogen wurde, alle drei Monate vom Gericht erneut bestätigt werden. Dies kann so oft geschehen, bis das Maximum von 18 Monaten Gefängnis erreicht wurde, was bei Personen, deren Heimatländer nicht mit der Schweiz kooperieren, oft vorkommt.

Vorgaben an das Migrationsamt

Auch das Migrationsamt hat gewisse Vorgaben, deren Missachtung die Haft unzulässig machen. Allerdings gibt es auch hier einen grossen Spielraum für die Gerichte, der gerne genutzt wird, um die Einhaltung dieser Vorgaben zu bestätigen:

  • Der Vollzug einer Wegweisung muss innert nützlicher Frist absehbar sein. Dabei geht es aber nur darum, ob das Migrationsamt selbst die Wegweisung vollziehen würde. Scheitert die Wegweisung daran, dass das Zielland keine Einreisebewilligung ausstellt oder daran, dass die inhaftierte Person keinen Pass besitzt, dann ist das die Schuld der inhaftierten Person oder deren Heimatlandes und die Haft somit gerechtfertigt. Die Praxis zeigt, dass zum Beispiel bei nordafrikanischen Staaten Wegweisungen nur äusserst selten vollzogen werden können und wenn, dann erst nach vielen Monaten Haft. Für die Gerichte ist dies aber kein Grund anzunehmen, dass die Wegweisung nicht innert nützlicher Frist vollzogen werden kann.
  • Bleibt das Migrationsamt bei einer Wegweisung länger als zwei Monate untätig, muss die inhaftierte Person entlassen werden. Deshalb schickt es alle zwei Monate die gesammelten Anfragen aller Personen eines Landes an dessen Botschaft, um die Einreisepapiere zu erhalten. Diese allgemeine Anfrage reicht den Gerichten als Bestätigung, dass das Migrationsamt in jedem Einzelfall tätig ist, und somit als Begründung die Haft aufrecht zu erhalten, auch wenn die Botschaften auf die Anfragen nicht reagieren.

Die Gerichtsverhandlung zur Bestätigung der Haftverlängerung

Bässlergut - Tear It Down!

Für jede Anordnung oder Verlängerung der Ausschaffungshaft um drei Monate wird eine Gerichtsverhandlung durchgeführt, durch die die Zulässigkeit der Haft überprüft werden soll. In der Gerichtsverhandlung wird die inhaftierte Person zuerst befragt. Der*die Richter*in stellt der inhaftierten Person Fangfragen, um ihr Aussagen zu entlocken, die den Verdacht auf Untertauchen rechtfertigen. Zum Beispiel, ob die Person denn gerne in der Schweiz bleiben möchte. Ein unverfängliches „Ja, es gefällt mir hier“, reicht für drei Monate Gefängnis.
Falls die inhaftierte Person kein Deutsch kann, wird die Verhandlung von einer/m Dolmetscher*in übersetzt. Allerdings erfolgt die Übersetzung nicht unbedingt in die Muttersprache der Person, sondern in einer Sprache, von der angenommen wird, dass sie verstanden werde. Wenn eine arabisch sprechende Person also auch ein wenig Französisch spricht, kann dies Französisch sein. Es ist den beteiligten Behörden egal, wenn die Person den juristischen Wortschatz und die Gesetzestexte in dieser Sprache nicht verstehen kann.
Obwohl die Inhaftierten eigentlich Anspruch auf eine*n Anwalt*Anwältin hätten, wird dies kaum je gewährleistet. Die meisten Verhandlungen finden ohne Rechtsvertretung statt, wobei die Betroffenen die Gerichtssprache kaum verstehen und über die Gesetzeslage in völliger Unkenntnis sind. Für den Raum Basel gibt es nur eine  einzige teilzeitangestellte Person einer Beratungsstelle, die für die Rechtsberatung aller Betroffenen zuständig ist.

Scheindemokratisches Schauspiel

So wird ein komplexer Apparat juristischer und demokratischer Instrumente eingesetzt, um die gewaltsame Inhaftierung und Ausschaffung tausender Menschen zu legitimieren. Die Schweiz leistet sich diese Gefängnisse, Gerichte und Prozesse, um eine rassistische und fremdenfeindliche Praxis scheindemokratisch zu rechtfertigen. Die vielschichtige Bürokratie nimmt die Verantwortung von Einzelpersonen weg und übergibt sie bürokratischen Scheinprozessen, nach denen jede Person, die Teil davon ist, die Verantwortung von sich weisen kann.
Neben der Inhaftierung zur tatsächlichen Vorbereitung einer Zwangsausschaffung hat dieses ganze Schauspiel eine weitere, mindestens ebenso wichtige Funktion. Die Ausschaffungshaft dient auch dazu, die Inhaftierten zu zermürben und potentiell von einer Inhaftierung Betroffene abzuschrecken. In viele Länder kann die Schweiz keine Zwangsausschaffungen durchführen, deshalb werden Migrant*innen monatelang eingesperrt und so lange zermürbt, bis sie lieber „freiwillig“ in ihr Heimatland zurückkehren, als noch länger im Schweizer Gefängnis zu sitzen ohne zu verstehen weshalb. Oft hört man den Satz, „hier in der Schweiz ist es ja noch schlimmer als in meinem Land.“ Genau das ist es, was die Behörden erreichen wollen. Neben der menschenverachtenden Einsperrung als solche trägt auch die Vorführung der staatlichen Macht in den beschriebenen Scheinprozessen zu der Zermürbung bei. Schliesslich ist das ganze juristisch-demokratische Schauspiel auch notwendig, um eine solche Strategie und das Wegsperren von Unerwünschten innerhalb eines sogenannt westlichen Wertesystems zu etablieren.

Für die Inhaftierten muss es sich anfühlen wie in einem Kafka-Roman. Sie werden von einem gewaltigen bürokratischen Komplex, in dem jede*r seine Funktion wie selbstverständlich ausführt, mal befragt, mal angehört und egal was man sagt, schliesslich immer wieder erneut zu dreimonatiger Haft verurteilt, ohne verstehen zu können, wofür  – und ohne Möglichkeit, die vorprogrammierte Haftverlängerung irgendwie abwenden zu können.


Wenn auch nicht als selbst Betroffene, lernte die schreibende Person die Ausschaffungsbürokratie im direkten Kontakt wie auch aus den Erfahrungen betroffener Personen kennen. Aufgrund dieser Erfahrungen glaubt sie nicht, dass es sich lohnt, auf juristischem Weg gegen Ausschaffungen zu kämpfen, denn die Abschiebemaschinerie und das Grenzregime müssen in ihrer Gesamtheit beseitigt werden. Dies beinhaltet auch die Gesetze, die sie legitimieren.