WEek END BÄSSLERGUT

Seit Anfang dieses Jahres wird das Ausschaffungsgefängnis Bässlergut am Zoll Otterbach in Basel um ein zweites Gebäude erweitert. Mit einem Diskussionswochenende vom 6.-8. Oktober 2017 rund um die Bblackboxx und unmittelbar neben der Baustelle wollten wir unsere Kritik an diesem Unternehmen mit möglichst vielen Menschen teilen. Und uns über die Verhältnisse, unsere Utopien und eine widerständige Praxis austauschen. Gleichzeitig wollten wir unsere Anwesenheit Teil des Widerstands gegen Knäste, Grenzen und Repression werden lassen. Der Anlass wurde von Einzelpersonen organisiert, die sich bereits in diesem Themenfeld engagiert und darüber auch zusammengefunden haben.

Vielfältige Kritik an den Verhältnissen, die sich im Bässlergut zeigen

Das Programm wurde am Freitagabend mit einem gut besuchten NoLager-Rundgang um das Empfangs- und Verfahrenszentrum (EVZ), den bereits bestehenden Trakt des Auschaffungsgefängnisses Bässlergut I und der aktuellen Baustelle Bässlergut II eröffnet. Das im Gespräch mit Inhaftierten über die Jahre gesammelte Wissen zur alltäglichen Praxis hinter diesen Mauern wurde geteilt. In einem anschliessenden Input wurden die Entwicklungen und Zusammenhänge der Asyl- und Strafpolitik aufgezeigt. Dabei wurde deutlich, dass der Neubau Ausdruck einer Entwicklung ist, nach welcher in Zukunft mehr Migrant*innen und mehr mittellose Menschen eingesperrt werden – was nicht selten die selben sein werden, einfach abwechselnd in Ausschaffungshaft im alten und in Strafhaft im neuen Gebäude.

Mit einer allgemeinen Kritik an der Institution Gefängnis quer durch die letzten zweihundert Jahre wurde der Samstag eröffnet. In Kleingruppen wurde über das subjektive Sicherheitsempfinden gesprochen. Häufig wurde hier das Bedürfnis nach sozialer Sicherheit in Freundeskreisen oder in politischen Zusammenhängen genannt. Dabei spielten die strukturellen Sicherheiten, wie ein Schweizer Pass und die damit verbundenen Privilegien, eine eher untergeordnete Rolle. Kann man Angst vor Hunger haben, wenn man noch nie gehungert hat? Ein Diskussionsteilnehmer hat seine Privilegien auch als Abhängigkeiten beschrieben, da sie entzogen werden können, wenn man nicht mitspielt (Bewegungsfreiheit, diverse Sozialleistungen usw.).Vermittelt durch eine Gruppe von regelmässigen Gefängnisbesucher*innen und inhaftierten Menschen wurde am Samstagnachmittag den Insassen von Bässlergut I ein solidarischer Besuch abgestattet. Für viele Besucher*innen war das eine neue und wichtige Erfahrung. Und auch die Gefangenen haben sich über diese direkte Solidarität gefreut. Ein regelmässiger Besucher bestätigte, dass er noch nie zuvor so viele Menschen im Besucherraum des Gefängnisses erlebt habe. Aus diesem kollektiven Besuch sind nun monatliche, offene Besuchstreffen entstanden (siehe Agenda, S. 70).

Parallel zum Gefängnisbesuch wurde ein Einblick in die historische Entwicklung der Idee und Praxis von Verwahrung gegeben. Tatsächlich existiert in der Schweiz unter diesem Begriff eine langjährige oder sogar lebenslange Haft, die von Psychiater*innen durch den Einbezug von Computerprogrammen zur Diagnose verhängt wurde. Eine anschliessende Diskussion in einer kleineren Gruppe widmete sich der Frage, wie ein solidarischer Umgang mit psychisch erkrankten Menschen gestaltet werden könnte. Im Vordergrund stand dabei die Kritik an der entmenschlichten und normierenden Funktion von psychiatrischen Kliniken, sowie das eigene Unwissen und Unbehagen im Zusammenhang mit psychischen Beeinträchtigungen im eigenen Umfeld. Um solidarisch mit Menschen mit einer psychischen Erkrankung umgehen zu können, braucht es einerseits spezialisiertes Wissen und anderseits aber auch sensibilisierte soziale Verhältnisse, dies ein Schluss aus der Diskussion.

Am späteren Nachmittag wurde eine kurze Geschichte der Privatisierung des Gefängniswesens in den USA erzählt. Eine Vielzahl von internationalen (auch europäischen) Firmen konkurriert um den Markt mit den Häftlingen, betreibt Lobbyarbeit für eine restriktivere Gesetzgebung und beutet die Insassen als Arbeitskräfte aus. Das Gefängniswesen wurde als wirtschaftliche Branche erkennbar.

Der Tag wurde mit einer Filmvorführung vom Kino Vagabund beschlossen: Ausschnitte aus „Vol spécial“ von Fernand Melgar und der Kurzfilm „Einspruch VI“ von Rolando Colla. Eine kontroverse Diskussion drehte sich um die Frage, ob Betroffenheit und Identifikation mit den Opfern des Ausschaffungsregimes die (richtige) Voraussetzung für einen politischen Kampf ist, bzw. wie und ob es den beiden Filmen überhaupt gelingt, strukturelle Zusammenhänge aufzuzeigen und eine klare Haltung dazu einzunehmen. Nicht zuletzt wurde auch die Frage aufgeworfen, was es nützt, zu schauen, wenn man doch handeln müsste.

Am Sonntagmorgen hat uns ein Mensch ohne Papiere seinen Weg durch die schweizer Lager, Gefängnisse und Psychiatrien hin zu einem politischen Umfeld und zum eigenen Kampf aufgezeigt. Schwerpunkt seines Inputs war der Widerstand. Er schilderte, wie ihm der aktive Widerstand gegen das bestehende System, eine damit verbundene Praxis und der Austausch mit Gleichgesinnten eine längerfristige Perspektive in der Schweiz gegeben haben.

Am frühen Nachmittag wurden in einem Workshop die Fragen nach Privilegien, Schuldgefühlen und Solidarität verhandelt. In Kleingruppen wurden die Begriffe definiert und diskutiert. Ein Mensch ohne Papiere mit mehrmonatiger Knasterfahrung meinte, dass Gefängnisbesuche für ihn eine wichtige und starke Geste der Solidarität seien. Gleichzeitig kritisierte er die Gleichsetzung des Begriffes Solidarität mit Wohltätigkeit und karitativer Arbeit, was er in der Schweiz oft erlebt habe. In einigen Kleingruppen wurde auch diskutiert, ob Privilegierte die eigenen Privilegien in einem solidarischen Kampf nutzen sollen, auch auf die Gefahr hin, die Strukturen zu reproduzieren, die diese Privilegien hervorbringen. Oder ob diese Privilegien produzierenden Strukturen als Ganzes abgelehnt werden sollten, auch wenn dann einige Unterstützungsmöglichkeiten wegfallen.

Gedankenanstösse zum Widerstand

Unsere kritische Präsenz neben dem neuen Strafgefängnis Bässlergut II, dem Ausschaffungsgefängnis Bässlergut I sowie dem EVZ stellte eine erste Form des Widerstandes dar. Es gab viele angeregte Diskussionen, in welchen Inhalte vermittelt und kritisch beleuchtet wurden. Die thematisch reichhaltigen Vorträge und das breite Spektrum der Kritik zeigten viele zu bekämpfende Strukturen und Praktiken auf. Schwierig blieb jedoch, wie dieses Wissen und der Austausch in eine widerständige Praxis übersetzt werden können. So hat das Wochenende zwar aufgerüttelt, doch leider kaum neue Handlungsperspektiven eröffnet, sondern teilweise eher ein Gefühl von Ohnmacht bei einigen Teilnehmer*innen hinterlassen. Die Frage, wie und wo sich geteiltes Wissen wieder in eine Praxis überführen lässt, könnte bei einem nächsten Anlass vielleicht schon in der Planung stärker einbezogen werden.
Mehrere direkt Betroffene haben betont, dass ein glaubwürdiger und wirksamer Widerstand eine höhere Bereitschaft zu Handlungen erfordert, welche auch das eigene Leben in Frage stellt und Risiken, wie Geld- oder Haftstrafen oder den Verlust von Privilegien, mit sich bringt. Vielleicht sollten tatsächlich auch diejenigen, die nicht sowieso schon mit einem Risiko leben, den Widerstand ernster verfolgen und auch die damit einhergehenden Risiken nicht scheuen.

Während wir bei der Mobilisierung zum Anlass noch mit oberflächlichen Fragen zur Abschiebepolitik konfrontiert wurden, bewegten sich die Diskussionen während dem Wochenende fast ausschliesslich im Rahmen antikapitalistischer Grundannahmen. Der dominante gesellschaftliche Diskurs für Ausschaffungspolitik à la „es ist eine menschliche Tragödie, aber es können halt nicht alle hierher kommen“ war an diesem Wochenende kein Thema.

Nicht zuletzt wurde auch die Frage aufgeworfen, was es nützt, zu schauen, wenn man doch handeln müsste.

Einerseits ist das eine angenehme Ausgangslage für weiterführende Diskussionen, anderseits gerät dabei auch schnell in Vergessenheit, wie stark jedes Alternativmodell zum aktuellen Migrationsregime auf einen grundsätzlichen gesellschaftlichen Wandel angewiesen ist und auch nur auf diesem Hintergrund verstanden werden kann. Soll die Migrationspolitik sich ändern, muss sich das politische und wirtschaftliche System ändern und damit auch ein Wandel in der Gesellschaft geschehen.

Gemeinsames und Ausgeschlossene

Allgemein war der Anlass mit gut zweihundert Teilnehmer*innen über das Wochenende trotz eher kaltem und regnerischem Wetter sehr gut besucht. Die Menschen aus dem EVZ waren zwar präsent, haben aber nur wenig an den eigentlichen Veranstaltungen teilgenommen, auch wenn sie vor den Veranstaltungen über die Themen und die Übersetzungsmöglichkeiten informiert wurden. Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob die Form des Vortrags mit Diskussion den idealen Raum für einen solchen Austausch bilden kann. Dank der hervorragenden und durchgehenden KüfA wurde in den kurzen Pausen jedoch gemeinsam gegessen und in Einzelgesprächen oder kleinen Gruppen viel diskutiert.
Die Polizei ist trotz kritischem Thema und Ort nur zweimal offen in Erscheinung getreten. Die Repression hat sich leider dennoch auf das Wochenende ausgewirkt. Einige Interessierte waren auf der anderen Seite der Gefängnismauer und nicht wenige haben sich aus Angst vor Verfolgung und Verhaftung nicht an die Veranstaltungen gewagt.

Ausblick

Am 30. Oktober hat bereits ein Folgetreffen stattgefunden, an dem mehr über Perspektiven und Möglichkeiten von Widerstand diskutiert wurde. Deutlich wurde beim Treffen das Bedürfnis nach langfristiger, offener und transparenter Organisation sowie einer klareren Einmischung in den gesamtgesellschaftlichen Diskurs und die Verhältnisse geäussert. Regelmässige, offene Austauschtreffen sind weiterhin geplant. Und auch viele Auseinandersetzungen und Praktiken (wie die aus dem Wochenende hervorgegangenen kollektiven Gefängnisbesuche) gehen offen weiter.
Der Bau des Bässlerguts dauert noch bis 2019. Es ist zu befürchten, dass die darin materialisierten Verhältnisse auch über dieses Datum hinaus bestehen. Denn eine Infrastruktur, die gebaut wird, muss im Anschluss auch genutzt werden. Der gemeinsame Widerstand in Diskussion und Handlung bleibt eine Notwendigkeit!