Staatliche Gewalt im demokratischen Gewand

In der Schweiz werden tausende Menschen in Ausschaffungshaft gefangen gehalten.1  Bis zu 18 Monate bleiben die Betroffenen im Gefängnis. Im Vergleich zum Strafvollzug beruht die Ausschaffungshaft nicht auf einem strafrechtlichen Tatbestand, sondern bloss auf dem Verdacht, dass sich eine Person der Wegweisung entziehen könnte. Das Migrationsamt kann die Haft aber nicht einfach über eine Person verhängen, sondern muss dies im Sinne einer demokratischen Gewaltentrennung vom Gericht für Zwangsmassnahmen absegnen lassen. In der Praxis folgen die Gerichte praktisch immer den Haftanträgen des Migrationsamtes, das diese alle drei Monate erneuern muss. Eine Analyse dieser Prozesse zeigt, wie Gesetz und Gerichtspraxis die Verhängung der entwürdigenden und psychisch zerstörerischen Ausschaffungshaft demokratisch und juristisch legitimieren.

Begründungen für die Ausschaffungshaft

Das Gesetz ist so formuliert, dass die Gerichte ein enorm grosses Spektrum an Möglichkeiten erhalten, um die vom Migrationsamt verordnete Ausschaffungshaft zu legitimieren:

  • Um Ausschaffungshaft zu verhängen reicht es, wenn die Person in irgendeinem protokollierten Gespräch erwähnte, dass sie gerne in der Schweiz bleiben möchte, oder dass sie nicht in ihr Heimatland zurückkehren will.
  • Im Urteil wird meist darauf hingewiesen, dass sich die betroffene Person bis anhin in keiner Weise an behördliche Anordnungen gehalten habe. Dazu reicht es, der Anordnung, das Land zu verlassen, nicht Folge geleistet zu haben.
  • Gegen die inhaftierte Person wird verwendet, dass sie keinen Pass auf sich hat. Da die meisten Geflüchteten entweder keinen Pass besitzen, ihn verloren oder irgendwo versteckt haben, damit er ihnen nicht abgenommen wird, kann dieses Argument fast immer angeführt werden.
  • Es wird von den Gefangenen erwartet, dass sie bei der Beschaffung des Reisepasses behilflich sind, da die Wegweisung so viel leichter vollzogen werden kann. Die Person habe nichts unternommen um bei der Papierbeschaffung mitzuwirken, heisst es dann im Urteil zur Haftverlängerung. Dass dies aus dem Gefängnis heraus äusserst schwierig ist, wird dabei nicht beachtet. Ausserdem hilft wohl niemand den Behörden freiwillig, die eigene Zwangsausschaffung durchzusetzen.
  • Die Ausschaffungshaft muss, wenn keine Wegweisung vollzogen wurde, alle drei Monate vom Gericht erneut bestätigt werden. Dies kann so oft geschehen, bis das Maximum von 18 Monaten Gefängnis erreicht wurde, was bei Personen, deren Heimatländer nicht mit der Schweiz kooperieren, oft vorkommt.

Vorgaben an das Migrationsamt

Auch das Migrationsamt hat gewisse Vorgaben, deren Missachtung die Haft unzulässig machen. Allerdings gibt es auch hier einen grossen Spielraum für die Gerichte, der gerne genutzt wird, um die Einhaltung dieser Vorgaben zu bestätigen:

  • Der Vollzug einer Wegweisung muss innert nützlicher Frist absehbar sein. Dabei geht es aber nur darum, ob das Migrationsamt selbst die Wegweisung vollziehen würde. Scheitert die Wegweisung daran, dass das Zielland keine Einreisebewilligung ausstellt oder daran, dass die inhaftierte Person keinen Pass besitzt, dann ist das die Schuld der inhaftierten Person oder deren Heimatlandes und die Haft somit gerechtfertigt. Die Praxis zeigt, dass zum Beispiel bei nordafrikanischen Staaten Wegweisungen nur äusserst selten vollzogen werden können und wenn, dann erst nach vielen Monaten Haft. Für die Gerichte ist dies aber kein Grund anzunehmen, dass die Wegweisung nicht innert nützlicher Frist vollzogen werden kann.
  • Bleibt das Migrationsamt bei einer Wegweisung länger als zwei Monate untätig, muss die inhaftierte Person entlassen werden. Deshalb schickt es alle zwei Monate die gesammelten Anfragen aller Personen eines Landes an dessen Botschaft, um die Einreisepapiere zu erhalten. Diese allgemeine Anfrage reicht den Gerichten als Bestätigung, dass das Migrationsamt in jedem Einzelfall tätig ist, und somit als Begründung die Haft aufrecht zu erhalten, auch wenn die Botschaften auf die Anfragen nicht reagieren.

Die Gerichtsverhandlung zur Bestätigung der Haftverlängerung

Bässlergut - Tear It Down!

Für jede Anordnung oder Verlängerung der Ausschaffungshaft um drei Monate wird eine Gerichtsverhandlung durchgeführt, durch die die Zulässigkeit der Haft überprüft werden soll. In der Gerichtsverhandlung wird die inhaftierte Person zuerst befragt. Der*die Richter*in stellt der inhaftierten Person Fangfragen, um ihr Aussagen zu entlocken, die den Verdacht auf Untertauchen rechtfertigen. Zum Beispiel, ob die Person denn gerne in der Schweiz bleiben möchte. Ein unverfängliches „Ja, es gefällt mir hier“, reicht für drei Monate Gefängnis.
Falls die inhaftierte Person kein Deutsch kann, wird die Verhandlung von einer/m Dolmetscher*in übersetzt. Allerdings erfolgt die Übersetzung nicht unbedingt in die Muttersprache der Person, sondern in einer Sprache, von der angenommen wird, dass sie verstanden werde. Wenn eine arabisch sprechende Person also auch ein wenig Französisch spricht, kann dies Französisch sein. Es ist den beteiligten Behörden egal, wenn die Person den juristischen Wortschatz und die Gesetzestexte in dieser Sprache nicht verstehen kann.
Obwohl die Inhaftierten eigentlich Anspruch auf eine*n Anwalt*Anwältin hätten, wird dies kaum je gewährleistet. Die meisten Verhandlungen finden ohne Rechtsvertretung statt, wobei die Betroffenen die Gerichtssprache kaum verstehen und über die Gesetzeslage in völliger Unkenntnis sind. Für den Raum Basel gibt es nur eine  einzige teilzeitangestellte Person einer Beratungsstelle, die für die Rechtsberatung aller Betroffenen zuständig ist.

Scheindemokratisches Schauspiel

So wird ein komplexer Apparat juristischer und demokratischer Instrumente eingesetzt, um die gewaltsame Inhaftierung und Ausschaffung tausender Menschen zu legitimieren. Die Schweiz leistet sich diese Gefängnisse, Gerichte und Prozesse, um eine rassistische und fremdenfeindliche Praxis scheindemokratisch zu rechtfertigen. Die vielschichtige Bürokratie nimmt die Verantwortung von Einzelpersonen weg und übergibt sie bürokratischen Scheinprozessen, nach denen jede Person, die Teil davon ist, die Verantwortung von sich weisen kann.
Neben der Inhaftierung zur tatsächlichen Vorbereitung einer Zwangsausschaffung hat dieses ganze Schauspiel eine weitere, mindestens ebenso wichtige Funktion. Die Ausschaffungshaft dient auch dazu, die Inhaftierten zu zermürben und potentiell von einer Inhaftierung Betroffene abzuschrecken. In viele Länder kann die Schweiz keine Zwangsausschaffungen durchführen, deshalb werden Migrant*innen monatelang eingesperrt und so lange zermürbt, bis sie lieber „freiwillig“ in ihr Heimatland zurückkehren, als noch länger im Schweizer Gefängnis zu sitzen ohne zu verstehen weshalb. Oft hört man den Satz, „hier in der Schweiz ist es ja noch schlimmer als in meinem Land.“ Genau das ist es, was die Behörden erreichen wollen. Neben der menschenverachtenden Einsperrung als solche trägt auch die Vorführung der staatlichen Macht in den beschriebenen Scheinprozessen zu der Zermürbung bei. Schliesslich ist das ganze juristisch-demokratische Schauspiel auch notwendig, um eine solche Strategie und das Wegsperren von Unerwünschten innerhalb eines sogenannt westlichen Wertesystems zu etablieren.

Für die Inhaftierten muss es sich anfühlen wie in einem Kafka-Roman. Sie werden von einem gewaltigen bürokratischen Komplex, in dem jede*r seine Funktion wie selbstverständlich ausführt, mal befragt, mal angehört und egal was man sagt, schliesslich immer wieder erneut zu dreimonatiger Haft verurteilt, ohne verstehen zu können, wofür  – und ohne Möglichkeit, die vorprogrammierte Haftverlängerung irgendwie abwenden zu können.


Wenn auch nicht als selbst Betroffene, lernte die schreibende Person die Ausschaffungsbürokratie im direkten Kontakt wie auch aus den Erfahrungen betroffener Personen kennen. Aufgrund dieser Erfahrungen glaubt sie nicht, dass es sich lohnt, auf juristischem Weg gegen Ausschaffungen zu kämpfen, denn die Abschiebemaschinerie und das Grenzregime müssen in ihrer Gesamtheit beseitigt werden. Dies beinhaltet auch die Gesetze, die sie legitimieren.