Prison Sucks – 6 überraschende Gründe, weswegen wir Gefängnisse bekämpfen sollten

Das Gefängnis ist eine gesellschaftliche Selbstverständlichkeit, sie scheint unangreifbar. Im politischen Spektrum ist von links bis rechts kaum Kritik an dieser Institution zu vernehmen. Das war auch schon mal anders, denn das Gefängnis ist ein eher modernes Phänomen. Hier sollen einige Ideen präsentiert werden, welche diese Selbstverständlichkeit aufbrechen können.
Selbst die radikale Linke hat sich in ihren Forderungen in den letzten Jahrzehnten immer mehr zurückgezogen. Während in den 70er- und 80er-Jahren die Entknastung1 der Gesellschaft noch im Zentrum stand, getraut man sich heute höchstens noch, die Freilassung „unserer“ politischen Gefangenen zu erwähnen.

 

Gefängnisse

Seit dem Altertum gibt es Gefängnisse, jedoch hatten sie lange keine mit heute vergleichbare Funktion. Menschen sind temporär bis zur Urteilsverkündung- oder Vollstreckung in Gefängnisse gesteckt worden, ähnlich dem, was uns heute als „Untersuchungshaft“3 geläufig ist. Zur Bestrafung wurden andere Methoden wie Bussgelder, Schandstrafen wie Pranger oder Verbannungen und Körperstrafen wie Prügel oder Todesstrafen ausgesprochen.
Auch Schuldgefängnisse sind weit verbreitet: Menschen sitzen ein, bis sie ihre finanziellen Schulden beglichen haben oder begleichen können. Heute hat sich das etwas verändert: Menschen sitzen nun ihre Bussen ab.

Erst später entstehen in England erste Arbeits- und Zuchthäuser. Darin werden soziale Randgruppen und Arme platziert, damit sie sich „bessern“ können. Von da an wird immer mehr auf die Bestrafung per Inhaftierung gesetzt, da diese Strafform gegenüber Schand- und Körperstrafen als humaner gilt. Sowohl im 19. als auch im 20. Jahrhundert gibt es immer wieder Reformbemühungen und Bewegungen, die fordern, dass das Gefängnis zu einem Ort weiterentwickelt wird, in dem Menschen wahlweise gebessert oder bekehrt werden sollen.

Die Bestrafung verschwindet mit der Inhaftierung aus den Augen der Öffentlichkeit hinter hohen Mauern. Es etabliert sich ein komplexes, systematisches Gefängniswesen mit verschiedenen Stufen von Inhaftierung, von Hafterleichterungen, Ausgängen, Arbeit, Hofgängen und so weiter.
Eine Idee bleibt: Der Körper muss sich innerhalb dieses Gebäudes befinden und an die Weisungen der ausführenden Gewalt – häufig vom Staat eingesetzt – halten.

1. Grund: Es schafft mehr Probleme, als es löst

Neben der Tatsache, dass das Gefängnis selbst eine Form von Gewalt ist, werden viele Inhaftierte in den Gefängnissen Opfer von Gewalt durch Mithäftlinge und Wärter*innen. Wer nicht schon traumatisiert ins Gefängnis kommt, wird sehr wahrscheinlich dort traumatische Erlebnisse machen. Das repressive Umfeld, die hierarchische Struktur und die Lebensbedingungen fördern Depressionen, Suchterkrankungen, Machtspiele und den Einsatz von Gewalt an den und durch die Gefangenen. So sind z.B. die Preise für Drogen nirgendwo höher als im Knast.

Absurderweise bilden sich in grossen Gefängnissen eine Art „rechtsfreie“ Räume, in denen Gewalt, Vergewaltigungen, Drogenhandel etc. an der Tagesordnung sind. In den Gefängnissen werden also Umfelder geschaffen, die es erst ermöglichen, problematische Strategien zur Konfliktbewältigung wie Gewalt zu entwickeln, auszuleben und weiterzugeben. Das Gefängnis ist ein Ort, wo sich delinquente Praxen und Strategien weiterverbreiten und befördern können. Im Gefängnis existiert eine Schattenwelt, die kaum eine*r kennt und die auch nicht interessiert, schliesslich geschieht sie hinter hohen Mauern.

Viele junge Leute, die wegen „kleiner“ Delikte in Haft geraten, kommen dort erst in Kontakt mit einem Milieu, in dem Delinquenz angesehen und verbreitet ist. Das Gefängnis fördert in gewissen Fällen die Kriminalität, die es zu bekämpfen verspricht und richtet dabei jede Menge Schaden an.

2. Grund: Die Gesellschaft produziert „Überflüssige“

Die Gefängnisse sind gefüllt mit Menschen, die aufgrund von sozialen Ungleichheiten und Armut in Konflikt mit dem Gesetz gekommen sind. Die meisten Verurteilungen haben direkt oder indirekt mit Eigentumsfragen zu tun. Viele Inhaftierte sind Benutzer*innen von illegalisierten Drogen. Das Herrschaftsinstrument Gefängnis ist dabei nicht nur unterdrückend, sondern ebenso produktiv: Menschen werden dazu angehalten, sich produktiv und konform zu verhalten. Es sind eben jene Instrumente, die uns und unsere Gesellschaft erst konstituieren.

Viele Gesetze sind Teil des Krieges gegen die Armen. Geschaffen wurden sie, um die bestehende Ordnung und die bestehenden (Eigentums-)verhältnisse festzusetzen und zu verteidigen. Das Justizsystem ist lange nicht so neutral und objektiv, wie es scheint. Was wie verfolgt und bestraft werden soll ist eine politische Entscheidung, die bisweilen absurde Auswüchse mit sich bringt (z.B. Gefängnis für Schwarzfahren). Gesetze schaffen eine Klasse von Delinquent*innen und einen ganzen Apparat von Polizist*innen, Richter*innen, Überwachung und Kontrolle, und legitimieren diesen. Das Gefängnis hilft ebenso wie die Schule, die Kaserne, die Psychiatrie, das Krankenhaus etc., die Position des Individuums in der Gesellschaft anzuzeigen und es darin festzusetzen.

In der Theorie bleibt eines der Ziele dieser Einschliessung die Resozialisierung. Das Individuum soll in der Gesellschaft wieder eine andere, konforme Position einnehmen. Zumindest war dies das Ziel vieler Reformen in den letzten Jahrzehnten. Dieses Ziel scheint mittlerweile aufgegeben zu sein.
Solange die Gesellschaft ist wie sie ist, voller sozialer Unterschiede, Sexismus und Rassismus, solange wird es auch viele Menschen geben, die mit dem Gesetz in Konflikt kommen. Solange wird die Gesellschaft „Überflüssige“ produzieren.

3. Grund: Es soll uns abschrecken

Die blosse Präsenz von Gefängnissen und Gefangenen in unserem Bewusstsein soll zur Abschreckung dienen. Eine möglichst grosse Konformität und Gesetzestreue wird dadurch angestrebt, dass du deiner Bewegungsfreiheit beraubt werden könntest, wenn du gegen Gesetze verstösst. Auch im Alltag und im Unterbewusstsein soll diese Angst ständig vorhanden sein: Die Polizei im eigenen Kopf. Diese hilft schon dabei, die kleinsten Regelüberschreitungen zu unterbinden. Etwas, was viele als charakteristisch an befriedeten Ländern wie der Schweiz erachten.

4. Grund: Wir lieben die Freiheit

Die krasseste Freiheitsberaubung überhaupt: Das Gefängnis ist eine besonders starke Form eines Ein- und Ausschlussmechanismus. Widerstand und Kritik an der bestehenden Ordnung kann sehr schnell ins Gefängnis führen.

5. Grund: Wofür Strafen?

Ist die Idee der Bestrafung – eine sehr moralische Idee – eine angemesse Reaktion auf Vergehen wie Diebstähle, Gewalt oder Übergriffe? Strafen bedeutet immer, jemandem mit Absicht Leid zuzufügen. Was soll mit diesem Leid bezweckt werden? Der Gedanke des Strafens basiert auf einer Idee von Vergeltung und Rache. Delinquent*innen werden stigmatisiert und damit Resozialisierung – was ein Zweck des Gefängnisses sein soll – erschwert.
Die lauter werdenden Forderungen nach noch härteren Strafen sind eine zutiefst reaktionäre Idee, basierend auf einer moralischen Vorstellung von Vergeltung gegenüber jenen Menschen, von denen angenommen wird, sie hielten sich nicht an die herrschende Ordnung.

6. Grund: Sexismus und Rassismus

In den Gefängnissen sitzen mehrheitlich Männer. Das Gefängnis trägt auch dazu bei, Geschlechtlichkeit zu (re)produzieren. Während dem Mann eher der Täter vorgeworfen wird, gilt die Frau eher als die Wahnsinnige und landet deswegen in psychiatrischer Betreuung. Sexualisierte und rassistische Gewalt sind leider in beiden Institutionen an der Tagesordnung. Hier ist der Staat nicht in der Lage, sein Sicherheitsversprechen einzuhalten, im Gegenteil: Techniken und Institutionen wie die Polizei, das Gefängnis oder Grenzen etc. produzieren Gewalt gegen Frauen* und People of Colour, statt sie zu beenden.

Der Schutz von marginalisierten Communities wird als Vorwand gebraucht, um Polizei und Justiz weiterhin Gewalt ausüben zu lassen. Schauen wir uns als Beispiel die Diskussion nach den Vorfällen in der Silvesternacht 15/16 in Köln an: Die Gewalt gegen Frauen, ein weit verbreitetes und häufig verstecktes Phänomen, wird benutzt, um Gewalt gegen People of Colour, sowohl im Land als auch an den sogenannten „EU-Aussengrenzen“ zu legitimieren. Erfährt jedoch eine illegalisierte Person sexualisierte Gewalt, hat sie unter Umständen nicht die Möglichkeit, sich an die Polizei zu wenden. Sie läuft dann Gefahr, von dieser wiederum Gewalt zu erfahren: Sie kann inhaftiert und ausgeschafft werden.

Community-basierte Ansätze

Wie sich also sicher fühlen, wenn es keine Gefängnisse gäbe und einem auch die Polizei nicht helfen kann?
Aus queer-feministischen Kreisen kommen einige Ansätze, welche mit gemischtem Fazit bereits viele Male angewandt wurden. Die Idee ist, dass das Umfeld des „Täters“/der „Täterin“ und jenes des „Opfers“ versuchen, einen Umgang mit den Erfahrungen und mit der „Tat“ zu finden und daraus Konsequenzen zu ziehen. Viele von uns haben das sicher auch bereits angewandt, bei kleinen Vergehen, Übergriffen und Problemen im sozialen Umfeld. Folgende Grundsätze sind dabei von Menschen, welche sich viel damit beschäftigt haben, herausgearbeitet worden2:

  • Kollektive Unterstützung, Sicherheit und Selbstbestimmung für die betroffenen Personen
  • Verantwortung und Verhaltensänderung der gewaltausübenden Person
  • Entwicklung der Community hin zu Werten und Praktiken, die gegen Gewalt und Unterdrückung gerichtet sind
  • Strukturelle, politische Veränderung der Bedingungen, die Gewalt ermöglichen

Daraus folgt, dass der gewaltausübenden Person die Möglichkeit zur Verhaltensänderung angeboten wird, statt sie zu bestrafen und auszustossen. Es geht mehr darum, die von Gewalt Betroffenen zu ermächtigen, statt sie bloss zu beschützen. Die eigene Selbstbestimmung soll zurückerobert werden, und nicht bloss als „machtlose“ Person Schutz von Aussen zu erhalten. Diesen Strategien liegt die Annahme zugrunde, dass Betroffene von Gewalttaten über ein grosses Wissen und über Fähigkeiten verfügen, die sie zu potenziellen Akteur*innen sowohl der eigenen als auch der gesellschaftlichen Veränderung machen.

Dies ist ein ganz anderer Ansatz als Gefängnisse, die uns Sicherheit durch Verwahrung verkaufen wollen. Die Gefängnislogik versucht, ein paar „faule Äpfel“ zu isolieren. Doch häufig gibt es gute Erklärungen4, wenn auch keine Entschuldigung für Gewalt.
All diese Ansätze sind nur möglich, wenn die Menschen genug stabile soziale Umfelder haben und sich in der Lage sehen, in einer solchen Situation entsprechend einzuschreiten. Damit dies für alle Menschen möglich ist, müssen wir wohl in einer anderen Welt leben. Die Gründe für einen Kampf gegen Gefängnisse haben nicht nur mit der Strafjustiz und dem Staat zu tun, sondern sind genauso eine Frage nach einer emanzipatorischen und gerechteren Welt.

Eine Person, welche in den letzten Jahren durch die Auseinandersetzung mit Ausschaffungen und dem Ausschaffungsgefängnis Bässlergut begonnen hat, eine grundsätzliche Kritik an der Institution zu entwickeln. Die Person kann nicht verstehen, weswegen Widerstand gegen den Gefängnisausbau nie zu einer Diskussion über Sinn, Unsinn und Notwendigkeit dieser Einsperranstalt führt. Der Text basiert auf einem Input, der im Herbst 2017 am „Bässlergut-Wochenende“ bei der bblackboxx gehalten wurde.

1 entknastung.org
2 transformativejustice.eu/de/
3 Die Untersuchungshaft ist eine Zwangsmassnahme, die dazu dient, die Anwesenheit einer dringend verdächtigen Person im Verfahren sicher zu stellen, die Person von der Begehung von (weiteren) Delikten abzuhalten, Absprachen mit anderen Personen zu vermeiden oder Einwirkungen auf Beweismittel zu verhindern.
4 Aufgrund von Sozialisierung, ökonomischem und kulturellem Hintergrund, Klassenzugehörigkeit, Suchterkrankungen etc. lassen sich gewalttätige Übergriffe durchaus erklären.